Staatsausgaben: Erst Wein und Handgranaten
Wenn sich kommende Woche das neu gewählte Parlament im Bundeshaus zusammenfindet, geht es gleich ans Eingemachte: an die Staatsausgaben. Es geht also um die Frage, wofür der Bund seine Steuergelder ausgibt und wofür nicht.
Das ist schon im Kleinen relevant, wo die rechtsbürgerliche Mehrheit in Parlament und Bundesrat den Export von Schweizer Wein ankurbeln und die Landwirtschaft generell noch stärker unterstützen will – während sie Geflüchteten die Sozialhilfe kürzt und eine dringend nötige Kampagne gegen sexuelle Gewalt zusammenstreicht.
Existenziell wird die Frage, wohin das Geld fliesst, angesichts der Klimakrise. Die Transformation hin zu einer fossilfreien Energieversorgung und einem natur- und ressourcenschonenden Wirtschaftsmodell verlangt Investitionen und Subventionen in Milliardenhöhe. Denn eine solche Transformation gelingt nur, wenn sie sozialverträglich ist, wenn sie alle hier lebenden Menschen beim Wandel unterstützt. Kurzum: Für eine lebenswerte Zukunft braucht es finanzpolitischen Mut. Und den Willen, sich das Geld dort zu holen, wo obszön viel vorhanden ist: bei den Reichen – Personen und Firmen.
Die Realität sieht allerdings komplett anders aus. Die Klimakrise, ja überhaupt die Gestaltung der Zukunft spielen eine untergeordnete Rolle. Der wichtigste Treiber der Schweizer Finanzpolitik ist gerade nicht der Mut, sondern die Angst.
Niemand verkörpert diese Angst so sehr wie Finanzministerin Karin Keller-Sutter (FDP). Anfang Monat trat sie mit ihrem deutschen Amts- und Parteikollegen Christian Lindner am rechtslibertären Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik in Luzern auf. Beide huldigten einem so wirkmächtigen wie fatalen Instrument: der Schuldenbremse. Diese sichere, so Keller-Sutter, «die Resilienz und die Handlungsfähigkeit des Staates».
Das Gegenteil ist der Fall. Die vor zwanzig Jahren eingeführte Schuldenbremse verlangt, dass Einnahmen und Ausgaben des Bundes langfristig im Gleichgewicht sein müssen. Und tatsächlich können hochverschuldete Staaten vor dem Problem stehen, dass Investoren sie mit Kapitalabzug erpressen. Doch die Schweiz ist im globalen Vergleich geradezu unverschämt gering verschuldet.
So gering, dass eine aktuelle Studie des Geneva Graduate Institute, die die NGO Alliance Sud in Auftrag gab, zum Schluss kommt, dass allein bis 2030 mindestens fünfzehn Milliarden Franken für Mehrausgaben zur Verfügung stehen – ohne dass die rekordtiefe Schweizer Schuldenquote ansteigen würde. Denn der Bundesrat unterliegt mit seiner rigiden Anwendung der Schuldenbremse einem grundlegenden Irrtum: Entscheidend für die finanzpolitische «Fitness» sind nicht die absoluten Zahlen auf der Einnahmen- und Ausgabenseite, sondern das Verhältnis des Schuldenstands zum Bruttoinlandprodukt.
Während in Lindners Deutschland eine heftige Debatte tobt, ob die Schuldenbremse angesichts der Klimakrise nicht reformiert oder gar abgeschafft gehört, wird sie hierzulande überhaupt nicht infrage gestellt. Gerade das sozial-ökologische Lager hat es bisher versäumt, entschieden gegen die «Zukunftsbremse» vorzugehen. Das muss sich dringend ändern. Selbst die konservative «Financial Times» beschrieb die absurde Angst vor Staatsschulden diese Woche in einem Leitartikel als «very bad idea».
Allerdings lässt sich auch unter der Schuldenbremse das Steuergeld verantwortungslos verpulvern. Im Frühjahr 2022 beschloss das Parlament unter Eindruck des russischen Krieges gegen die Ukraine eine stetige Erhöhung des Militärbudgets: von heute jährlich 5,5 Milliarden Franken auf 10,5 Milliarden Franken bis 2035 – ohne Plan, was mit dem Geld gekauft und wie die Sicherheit damit erhöht werden soll. Auch diesem Unfug hat das linke Lager bisher wenig entgegengesetzt. Und so bleibt das Motto der Schweizer Finanzpolitik: No future – dafür viel Wein und Handgranaten.
Kommentare
Kommentar von Philipp Horn
Fr., 01.12.2023 - 16:17
Kommt mir bekannt vor.. Schöne Grüße aus dem großen Kanton