Züri West: Soll nur kommen

Nr. 50 –

In den Alltag haben sich Alter und Krankheit eingeschlichen, aber «Loch dür Zyt» ist nicht nur traurig, sondern ebenso frisch und versöhnlich. Auch, weil hier kein Platz ist für Nostalgie.

Kuno Lauener bei einem Essen im Restaurant
Sich mit der Lage abfinden ist keine Option: Züri-West-Kopf Kuno Lauener. Foto: Annette Boutellier

Es gibt Leute, die meinen, es sei ein Schweizer Gefühl, aber es ist eigentlich spezifischer ein ganz und gar bernisches, diese so eigenartige Mischung aus Fern- und Heimweh: die Kleinstadt hassen, die Kleinstadt lieben, vom Gehen reden, jetzt aber wirklich, und dann bleiben, und wieder von vorne. Züri West haben 1989 dieses Gefühl in «Bümpliz–Casablanca» auf den Punkt besungen – wie leicht und berauschend die Vorstellung, wie schwer und im Grunde unnötig am Schluss die Umsetzung. «Mir chönnte doch no irgendwo härega», immer und ewig im Konjunktiv.

Züri West sind geblieben und dabei sehr gross geworden. Nächstes Jahr feiert die Band um Kuno Lauener und Küse Fehlmann, in der aktuellen Besetzung mit Manuel Häfliger, Oli Kuster, Kevin Chesham und Florian Senn, ihr Vierzig-Jahr-Jubiläum. Letzte Woche ist nach längerer Pause ein neues Album erschienen. Gehen oder bleiben: Diese Frage stellt sich auf «Loch dür Zyt» immer noch, aber unter anderen Vorzeichen.

Einiges hat sich verändert, seit Kuno Lauener an Multipler Sklerose erkrankt und deswegen ein «unberechenbarer Motherfucker» geworden ist, wie er sich letzte Woche zum Erscheinen von «Loch dür Zyt» selbst in einem Interview bezeichnete, es gebe Scheisstage, aber auch gute, und der Arzt habe das Auftreten verboten. Also keine Tour, wohl auch gerade nicht nach Casablanca. Das Bleiben ein anderes: wenn man tatsächlich nicht mehr weg kann, weil man auf medizinische Versorgung angewiesen ist, auf ein Umfeld, das zu einem schaut, auf Sicherheit also. Vielleicht sind es mit dieselben Gründe, die einen auch im jugendlichen Übermut insgeheim dabehalten hatten.

«Nie im Läbe wetti zrügg»

Angesichts Laueners Krankheit ist schon das Erscheinen von «Loch dür Zyt» eine Absage an das Sich-damit-Abfinden. Im überragenden Titelsong trotzt ein recht unbetrübter Beat der Ungewissheit und das einsame Herz dem Aufgeben, es «chlopfet u chlopfet, chlopfet u chlopfet». Der Text ist in Teilen einem der allerersten Züri-West-Songs entnommen, «Z. W.» auf «Sport und Musik» (1986); da hat das Herz noch geschmerzt, und die Ungewissheit richtete sich auf die kommenden Jahre – Karriere, Erfolg, vielleicht berühmt werden? Und Laueners Gesang klang jugendlich und begierig. Gross, wie er es nun schafft, der Schwere von «Loch dür Zyt» keine Verzweiflung und keine Bitterkeit beizumischen, auch mit manchmal brüchiger Stimme.

In der zweiten Hälfte wird das Album immer schöner und trauriger. «Was hätte mr no chönne, e Huuffe würdi säge. U was hätte mr no müesse, nüt», singt Lauener in «Schnee vo Philadelphia». Das hätte auch kitschig geraten können, ist in diesem Text über eine versiegte Liebe aber einfach eine banale, an sich erfreuliche Tatsache. In «Blätter gheie» mit seinen schön taumelnden Gitarren wird ein Gedicht von Franz Hohler vertont, wie die Blätter im Herbst von den Bäumen fallen und vom Wind fröhlich in der Luft umhergewirbelt werden, es irgendwann still wird – «dass Stärbe e so luschtig cha sy».

Und dann wieder das Weggehen: In «Vanishing Act», einem Lou-Reed-Cover, singt Lauener ganz ruhig über ein sanft gespieltes Piano, eine vorsichtige, unaufgeregte Auseinandersetzung mit dem Tod. Wie schön die Vorstellung, einfach zu verschwinden, durch den Wald und den Nebel, und Lou Reed sässe schon an der Bushaltestelle, mit dem Koffer in der Hand, und wartete auf einen. Wie doppelbödig, mit der früheren Sehnsucht, abzuhauen, noch im Ohr: «U niemer wo eim je würd finde. U nie im Läbe wetti zrügg.»

Trotz der Versöhnlichkeit ist «Vanishing Act» ein bodenlos trauriges Lied und so zum Glück nur das zweitletzte auf dem Album. Als letztes stimmt leise hoffnungsvoll «Winterhale» einen Neujahrsmorgen an: ein Spaziergang durch ein verschneites Berner Quartier und die eisige Kälte. Das neue Jahr, es solle nur kommen, singt Lauener, aufgeben werde er gerade noch nicht.

Details und Dramen

«Loch dür Zyt» ist zum Glück keine Nostalgieplatte, auf der die Zeiten besungen werden, als man noch jung und berauscht war. Das Album klingt auch deswegen und trotz der schweren Themen so frisch, weil hier nicht nachgetrauert und bereut wird, auch erinnert nur wenig (so richtig nur im herzigen «Schnägg» an einen Bubenstreich, wie einer einmal einem heulenden Baby eine Schnecke in den Mund gesteckt hat, um es zum Schweigen zu bringen. Aber wers am Ende war, vergessen, nie gewusst, eh egal!).

Die Texte versammeln feine Beobachtungen, kleine Geschichten, Sprachwitz – das also, was diese Band schon seit ihren Anfängen ausmacht. Laueners Blick hat sich immer auf den Alltag, seine Details und Dramen, das vermeintlich Unspektakuläre gerichtet. Nun haben sich in diesen Alltag eben Alter und Krankheit eingeschlichen. Aber Züri West war sowieso nie eine besonders schönwettrige Band, Lauener immer auch ein Grübler und ein Zweifler, einer, der dem Herzschmerz und der Sehnsucht etwas Positives abgewinnen konnte. So waren auch die Zeiten des Aufbruchs kaum je ohne eine Spur Melancholie. Und im Kopflosen immer das Bewusstsein für das Risiko, dass jeden Moment alles abfahren könnte, eben deshalb ist es so schön.

Album-Cover «Loch dür Zyt» von Züri West
Züri West: «Loch dür Zyt». Weltrekords. 2023.