Altersarmut in der Schweiz: Sehr originell, liebe Bürgerliche
Die Inbrunst, mit der die bürgerlichen Parteien unter Federführung des Wirtschaftsverbands Economiesuisse gegen ein besseres Leben im Alter kämpfen, ist beeindruckend. Laut der Eidgenössischen Finanzkontrolle geben sie über 3,5 Millionen Franken im Einsatz gegen die Einführung einer 13. AHV-Monatsrente aus (gegenüber gut 1,5 Millionen Franken der Befürworter:innen, deren Kampagne der Gewerkschaftsbund anführt). Im Kampf für mehr soziale Ungerechtigkeit greifen sie angesichts der gemäss Umfragen noch immer recht hohen Zustimmung zur Gewerkschaftsinitiative auch zu einer besonders heimtückischen Waffe: zur Täuschung.
Ausgesprochen originell ist diesbezüglich ihre Idee, armutsbetroffenen Senior:innen statt einer zusätzlichen Monatsrente lieber etwas höhere Ergänzungsleistungen (EL) in Aussicht zu stellen. Ausgerechnet! Wo es doch genau diese Kräfte im Parlament waren, die dafür gesorgt haben, dass ebendiese Leistungen diesen Januar gekürzt wurden – im vollen Bewusstsein darüber, ein Drittel aller EL-Bezüger:innen, die schon davor nur knapp über der Armutsgrenze lebten, noch tiefer fallen zu lassen.
Und jetzt also bemühen diese Kräfte die scheinbaren Vorteile der Ergänzungsleistungen. Frei nach der Devise: Wer es bis ins Alter immer noch nicht geschafft hat, genug Geld auf die Seite zu legen, um halbwegs menschenwürdig über die Runden zu kommen, soll gefälligst um etwas Geld betteln gehen – und sich nur ja nicht über all die bürokratischen Hürden beklagen, die dafür so fleissig in den Weg gestellt wurden.
Darüber aber schweigen die Feind:innen einer solidarischen Gesellschaft. Pssst! Nur ja kein Wort darüber, was die Verfassung seit Jahrzehnten verlangt: dass jede Person «gegen die wirtschaftlichen Folgen des Alters gesichert» und mit den Renten die «Fortsetzung der gewohnten Lebenshaltung in angemessener Weise» gewährleistet sein muss. Und schon gar keines darüber, dass die EL seit ihrer Einführung im Jahr 1966 nur als vorübergehende Notlösung gedacht waren – in der Annahme, dass bald die AHV den Lebensbedarf aller Senior:innen decken würde.
Das ist bis heute bei weitem nicht der Fall. Aus dem Provisorium ist eine chronische Notlösung geworden. Wenn nun, wie seit längerem, die Leistungen der zweiten Säule immer noch schlechter werden: Müssten dann logischerweise nicht jene der ersten deutlich besser werden? Aber eben: Statt dafür zu sorgen, dass der Verfassungsauftrag erfüllt wird, täuschen die Gegner:innen der 13. AHV-Rente ein Engagement für die EL vor. Und schämen sich nicht, sich dabei gleich auch noch mit klassenkämpferischen Worthülsen zu kostümieren.
Auf Plakaten warnen sie inständig davor, nur ja nicht Ja zur 13. AHV-Rente zu sagen – weil damit, wie sie ungeniert behaupten, aufgrund der dafür nötigen Finanzierung unzählige Familien verarmen könnten. Und überhaupt: Es sei doch einfach skandalös, per Giesskanne auch den Milliardär:innen einen Dreizehnten zu gewähren! Als läge der Sinn der Alters- und Hinterlassenenversicherung, dieses einzigartigen Solidarwerks, nicht gerade darin, dass Reiche um ein Vielfaches mehr in die AHV zahlen – und im Alter pro Monat doch nur 2450 Franken dafür bekommen.
Für all die Menschen hierzulande, die trotz jahrzehntelanger Einzahlung in die AHV-Kasse nach ihrer Pensionierung auch heute nicht mehr als 1225 Franken pro Monat von der AHV zurückerhalten, ist eine zusätzliche Monatsrente immerhin eine kleine Entlastung: hundert Franken mehr pro Monat – ohne dafür auch noch unzählige Formulare ausfüllen und Telefonate mit Ämtern machen zu müssen.
Weshalb das bei weitem nicht genug, aber dennoch ein Schritt in die richtige Richtung wäre und alles andere erbarmungslose Täuschung ist: Das scheint auch die Mehrheit der SVP-Wähler:innen zu verstehen.
Kommentare
Kommentar von funke
Fr., 02.02.2024 - 18:56
Ja, die AHV ist ein "einzigartiges Sozialwerk".
Die Einführung auf anfangs 1948 nach der Volksabstimmung vom 6. Juli 1947 war nur möglich, weil auch die "Begüterten" nicht nur unbegrenzt einzahlen müssen, sondern auch, limitiert, profitieren können.
Das gilt natürlich auch für die kommende Abstimmung und schmälert die Chancen der zur Weissglut provozierten Gegner!
Und das sollten auch unbedarfte Befürworter akzeptieren, dass nämlich auch Reiche eine 13. Rente erhalten werden.