Pop: Lust auf Beschwörung
Wo sind wir denn jetzt, an einem Waldritual? In einem BDSM-Keller? Im Club? Oder im Internet? Frag nicht so blöd oder «Schrei mich nicht so an ich bin in Trance Baby», das würde der Schlagzeuger Jonas Albrecht in echt wohl gar nicht sagen.
Aber sein gerade erschienenes Debütalbum hat er so getauft, und er experimentiert darauf mit ebendieser Musikrichtung Trance, die so viele Zuhause haben kann. Hier wird das Organische mit dem Künstlichen fröhlich kurzgeschlossen: Den geduldig drehenden Trommelfiguren kommt ein mal scharfes, mal weit gedehntes Autotune entgegen, digitale Sounds schichten sich über Albrechts Schlagzeug, dann nimmt wieder die Perkussion überhand, die sich immer weiter hochschraubt.
Wie auf dem Dancefloor liegen Konzentration und Zerstreuung nah beieinander – eintauchen oder davonfliegen? Geht beides, sogar gleichzeitig. «Liecht», «Leib», «Lust» und «Lack» heissen die vier Tracks auf dem Album und stecken so das Feld ab, in dem diese Musik passiert: im dunklen, von Schweiss und Atem überfeuchten Keller natürlich, aber auch ab und zu an der frischen Luft. Kopf durchlüften.
Mit mantraartigen Beinahebeschwörungen kennt sich Jonas Albrecht ohnehin aus: Gemeinsam mit Elischa Heller und Elias Bieri hat er vor gut einem Jahrzehnt Film 2 gegründet, bis heute spielt er dort Schlagzeug. Der Sound der Luzerner Band hat sich in den letzten Jahren immer weiter von den gradlinigeren Krautrockanfängen hin zu einer eher kreisförmigen, rituell inspirierten (aber nicht weniger lauten) Musik entwickelt. Mit dem Schlagzeug im Zentrum kippt Albrechts Soloprojekt nun noch stärker in Richtung Club.
Will man ihn live sehen, ist dort nun aber doch wieder alles anders: Ein ganzes «Schrei nicht so Orkestra» mit unter anderem drei Saxofonen, Posaune, Klarinette und Bassklarinette hat Albrecht für seine Tour zusammengestellt. Ein gelungenes Ritual gelingt immer noch am besten gemeinsam.