Psychiatrie: Am Rand des Zusammenbruchs

Nr. 6 –

Die Universitären Psychiatrischen Dienste Bern müssen Angebote streichen. Dabei gilt deren Nutzen als erwiesen, und auch an Nachfrage mangelt es nicht.

Zentralbau der Universitären ­Psychiatrischen Dienste Bern
Das Freizeitzentrum schliesst, der Kostendruck bleibt: Zentralbau der Universitären ­Psychiatrischen Dienste Bern. Foto: CC BY-SA 3.0, Krol:k

Zahlen das die Kassen, oder kann das weg? Am 22. Januar gaben die Universitären Psychiatrischen Dienste Bern (UPD) bekannt, dass sie Stellen im Sozialdienst abbauen und wichtige ergänzende Angebote einstellen müssen.

Schon am 1. Februar schloss die Psychiatrie das Freizeitzentrum Metro und die Werkstatt Holzplatz, die auf Arbeitsrehabilitation ausgerichtet ist. Am selben Tag übergaben Vertreter:innen des VPOD dem Kommunikationschef der kantonalen Gesundheitsdirektion eine Petition mit 6500 Unterschriften. Sie fordern, dass der Kanton sofort die nötigen finanziellen Mittel zur Verfügung stellt, damit die psychiatrischen Angebote nicht abgebaut werden müssen, sondern gemäss steigendem Bedarf erweitert werden können.

«Chronisch unterfinanziert»

Bedarf gibt es besonders für Angebote wie das Freizeitzentrum Metro. Dort gab es eine alkoholfreie Bar, künstlerische Angebote, einen Fitnessraum, Tai-Chi, Polittalks. Es lag auf dem Areal der UPD, viele Patient:innen haben davon während der therapiefreien Zeit profitiert. «Das entlastete das Personal auf den Stationen», erklärt Dirk Richter, Leiter Forschung und Entwicklung des Zentrums Psychiatrische Rehabilitation der UPD und Professor an der Berner Fachhochschule.

Fielen solche Angebote weg, so Richter, sei nicht nur das Personal stärker gefordert. Für Betroffene bestehe ein hohes Risiko der sozialen Isolation. «Viele leben allein, haben kaum Sozialkontakte, und wenn, dann sind es Fachpersonen.» Deshalb seien Freizeitangebote und Orte wie das Metro für die Unterstützung und den Austausch zentral.

In der Fachwelt ist man sich einig: Freizeitangebote entlasten Stationen und tragen massgeblich zur psychischen Gesundheit der Patient:innen bei. Aber Einrichtungen wie die UPD können es sich heutzutage nicht leisten, ihr Angebot nach medizinischen Erkenntnissen auszurichten, wenn sie nicht angemessen finanziert werden. In ihren Augen sind Angebote wie das Freizeitzentrum Metro in erster Linie teuer.

Das hat zwei Gründe: Wichtige psychiatrische Zusatzangebote wie das Metro gelten nicht direkt als Behandlung und können so schlecht oder gar nicht über die Kassen oder die Kantone abgerechnet werden. Zudem haben ambulante Angebote ein generelles Problem: «Sie sind chronisch unterfinanziert», so Richter. Schuld daran ist die ungleiche Finanzierung in der obligatorischen Krankenversicherung: Während stationäre Behandlungen von Versicherern und Kantonen gemeinsam getragen werden, gehen ambulante Leistungen zulasten der Prämienzahler:innen.

Gegen diese Ungleichheit soll ein neues Tarifwerk Abhilfe schaffen, das eine Verrechnung von ambulanten Leistungen vereinfacht. Eingeführt werden soll es Anfang 2025, konkret umgesetzt werden könne es gemäss Dirk Richter wohl frühestens 2027. «Bis dahin braucht es eine Übergangslösung. Die Kantone müssen sich an den Kosten beteiligen; anders geht es nicht.»

Berner Streichkonzert

Man unterstütze die ambulante Versorgung seit Jahren, heisst es beim Kanton. Leistungen, die nicht von der obligatorischen Krankenversicherung abgedeckt seien, würden über das Normkostenmodell mitfinanziert: Für das Jahr 2024 beteilige sich die Gesundheits-, Sozial- und Integrationsdirektion so bis zu einem Kostendach von 16,8 Millionen Franken an ambulanten Leistungen.

Welche das genau sind, ist offenbar nicht geklärt: «Wir müssen im Austausch miteinander dringend die Frage klären, welche Leistungen der Kanton in seiner Rolle als Versorgungsplaner haben möchte und somit auch finanzieren möchte», schreiben die UPD auf Anfrage. Man stehe finanziell mit dem Rücken zur Wand. Mit den jetzt beschlossenen Massnahmen könne man knapp zwei Millionen Franken pro Jahr einsparen. Der Kostendruck bleibe aber bestehen, heisst es seitens der UPD.

Die aktuelle Situation ist die neuste Eskalationsstufe in der psychiatrischen Versorgungskrise, die im Kanton Bern seit 2015 für Schlagzeilen sorgt. Damals strich Gesundheitsdirektor Philippe Perrenoud (SP) das Budget der drei kantonalen Psychiatriebetriebe zusammen. 34,5 Millionen Franken mussten bis 2017 eingespart werden: Die UPD, das Psychiatriezentrum Münsingen (PZM) und das Hôpital du Jura bernois wurden privatisiert und mussten über hundert Stellen streichen. Seither häufen sich Schliessungen von Angeboten, Ambulatorien und Abteilungen. Immer wieder gibt es öffentliche Wortmeldungen von Angestellten, die die Häufung von Gewalt- und Notfallsituationen, das Fehlen von Personal und die hohe Fluktuation kritisieren.

Im November letzten Jahres sprachen sich die Verwaltungsräte von UPD und PZM einstimmig für eine Fusion aus. Ohne sie werde die Gesamtsituation für beide Institutionen noch schwieriger, als sie bereits sei, und es drohe ein Abbau von Angeboten, schrieben UPD und PZM damals in einem Communiqué. Beide Psychiatrieeinrichtungen sind zwar verselbstständigt, jedoch im Eigentum des Kantons. Den Entscheid über einen Zusammenschluss fällt somit die Berner Kantonsregierung. Er steht bis heute aus.

WOZ Debatte

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Kommentare

Kommentar von Markus Moser

So., 11.02.2024 - 11:19

Bereits im Bericht der WOZ Nr.5/2023 wurden auf die personellen Missstände in der Bernischen Psychiatrie hingewiesen. Dass sich diese Situation nachhaltig negativ auf die betroffenen Personen auswirken wird und u.U. das verfassungsmässige Grundrecht der Unantastbarkeit der Menschenwürde massivst verletzt wird, wird von den politisch wie strategisch verantwortlichen Stellen einfach als Sachzwang hingenommen.
Interessant wäre zu erfahren, wie sich in den letzten Jahren das Verhältnis des Verwaltungsaufwandes zum Pflegeaufwand verschoben hat. Gespart wird ja mehrheitlich, wenn nicht grundsätzlich, bei der Pflege und Betreuung sowie Prävention von psychisch leidenden und kranken Mitmenschen. Der Verwaltungsapparat wird jedoch, wie die Verwaltungen grundsätzlich, sicher auch in der Psychiatrie weiter wachsen und deren Gehälter gegenüber den im Pflegebereich tätigen Mitarbeitenden stetig steigen. Ebenfalls wäre es spannend zu erfahren, wie sich die Gehälter und Boni der Chefetage, den Mitarbeitenden in der Verwaltung sowie den Mitarbeitenden im Pflege- und Betreuungsbereich entwickelt haben und werden.
Spannend wäre auch zu erfahren, wieviele finanzielle Mittel in die bürokratischen Abläufe und Kontrolle- bzw. Überwachungsinstrumentarien, allein zum Zweck der administrativen Verwaltungsdaseinsberechtigung und den Heerscharen von ökonomisch (ein)gebildeten Lohnempfangenden, eingeschossen wurde und wird. Dass damit der eigentliche Pflege- und Betreungsauftrag immer mehr und mehr eingeschränkt und behindert wird, muss wiederum durch den psychisch betroffenen Mitmenschen er- und getragen werden.
Als mit psychischen Erschütterungen und psychiatrischen Erfahrungen lebende Person ist es nicht einfach, bei diesem Thema immer nur nett zu sein, und bitte daher um Verständnis.