«Fungirl»: Ein vorlautes Molekül
Elizabeth Pichs Comicreihe «Fungirl» hat international Aufmerksamkeit erlangt, nun ist das Antiheldinnen-Epos auf Deutsch erschienen. Eine Begegnung mit der Zeichnerin.
Für das Comicfestival Fumetto hat Elizabeth Pich einen Luzerner Kunstraum kurzerhand in eine Kapelle umgewandelt. Am Eingang kann man sich mit Weihwasser besprengen, ein Disclaimer weist auf die Darstellung von sexuellen Handlungen und Gewalt hin. Das macht neugierig, kommt aber auch nicht unerwartet für jene, die Pichs schlaksige Heldin Fungirl kennen. Von ihr gibt es hier Sketches und Auszüge aus der aktuellen Reihe zu sehen, die über einem Sarg an die Wand projiziert werden. Fungirl tritt im sakralen Raum mal nur mit Umschnallpenis bekleidet und Orangensaft trinkend, mal mit Menstruationsblut gegen eine Bruderschaft kämpfend in Erscheinung.
Die deutsch-amerikanische Comicautorin Elizabeth Pich hat in den USA, Frankreich und Italien bereits mehrere Bände über ihre triebhafte Verliererin publiziert, im deutschsprachigen Raum war die Resonanz vergleichsweise verhalten. Vielleicht ändert sich das jetzt: Vor kurzem erschien «Fungirl» in der Edition Moderne endlich auf Deutsch.
Kathartische Wirkung
In mehrseitigen Episoden fächert Pich darin den ereignisreichen Alltag ihrer mundlosen Hauptfigur auf, die in Slapstickmanier von einer Eskapade in die nächste stolpert. Fungirl kommt visuell reduziert daher, sie hat keinen Hals, und ihr Kopf besteht aus einem Kreis mit zwei Punkten, das schwarze Haar ist wie eine Farbfläche darumgelegt. Trägt sie mal keinen Umschnalldildo, ist ihr Outfit schlicht: eine dunkle Hose und ein orangefarbener Pulli mit weissem Kragen.
In leuchtenden Farben zeichnet Pich die Kapriolen ihrer flapsigen, vulgären und schmerzbefreiten Figur, die ihre Zeit vorzugsweise mit Masturbieren, Saufen oder Tagträumen verbringt. Zwischenzeitlich hat sie auch mal einen Job in einem Bestattungsunternehmen; da schüttet sie einer verstorbenen Schönheitskönigin versehentlich Formaldehyd ins Gesicht. Aber Fungirl erträgt das eigene Scheitern ganz gut. Und wenn nicht, sucht sie das Zwiegespräch mit einer toten Schildkröte oder hat zur Ablenkung hemmungslosen Sex.
Einige Seitenstrassen von der Kapelle entfernt erzählt Elizabeth Pich bei einem Kaffee, es sei das Namensschild eines Geschäfts gewesen, das ihre Antiheldin zum Leben erweckt habe. «Bücher für Männer» stand da. «Das fand ich so absurd», sagt Pich. «Also habe ich mir eine Figur vorgestellt, die anstelle von mir reingeht und ihr Unwesen treibt.» Danach habe sie Fungirl nur in eine beliebige Situation stecken müssen, und sie habe sofort agiert: «Sie war wie ein Molekül, das überall andocken kann.»
Das war 2016, Pich studierte Kommunikationsdesign an der Hochschule für Künste Saar. «Fungirl» dort weiterzuentwickeln, sei nicht denkbar gewesen: «Comics hatten einen schlechten Stand an der Kunsthochschule.» Es war auch die Zeit von Tumblr-Blogs, und so konnte Pich ihre Figur unkompliziert aufs Internet loslassen. 2018 folgte die erste Publikation von «Fungirl» als Buch. Hatte die Figur in ihrer Unverschämtheit eine Art kathartische Wirkung auf die damals 27-jährige Pich?
«Ganz klar», sagt sie. «Jede Feminismuswelle hat ihre Eigenheit. Für mich fühlte sich der Druck auf meine Generation enorm an. Vor uns war so viel erkämpft worden. Ich dachte immer: Jetzt müssen wir was draus machen, all dem gerecht werden.» Aber wer ständig hohe Ansprüche an sich selbst habe, könne eigentlich nur verlieren. Fungirl entziehe sich in dieser Hinsicht, denn diese Protagonistin wisse überhaupt nicht, was die Gesellschaft von ihr erwarte – oder sie selbst: «Sie reagiert komplett triebgesteuert.» Das sei befreiend, aber auch eine Katastrophe, weil die Figur so fast nicht auszuhalten sei, auch übergriffig und problematisch, findet Pich: «Ich liebe sie, aber sie geht mir auch tierisch auf den Sack.»
«The new kid»
«Fungirl macht einfach drauflos, ich zerdenke oftmals alles», sagt Pich. Ihre Figur erlebe skurrile Abenteuer, sie selbst führe einen vergleichsweise «langweiligen Zeichnerinnenalltag» mit «Nine to seven thirty»-Zeiten im Büro sowie Feierabend mit Partnerin und Katzen vor dem Fernseher. Zu diesem Alltag gehört auch der Webcomic «War and Peas», den sie gemeinsam mit Jonathan Kunz herausgibt und in dem die beiden das Weltgeschehen satirisch auf die Schippe nehmen.
Pich lebt seit zwanzig Jahren im Saarland. Aufgewachsen ist sie an verschiedenen Orten in den USA – am längsten in Kalifornien. «Ich war immer ‹the new kid›», sagt sie. «Dieser Aussenseiterinnenstatus half mir später zu zeichnen.» In den USA war der Comic im Alltag verankert. «Sonntags schnappte ich mir die riesige Comicseite aus der Zeitung und vergrub mich in meinem Zimmer.» Pichs Kindheitshelden sind Calvin & Hobbes oder die Peanuts. In «Fungirl» tauchen immer wieder Hommagen an solche Comicikonen auf, ein wie Snoopy auf dem Hundehaus liegendes Fungirl auf dem Cover etwa oder ein weisses Hündchen, das aussieht wie Struppi.
Eine gewisse Comicnostalgie lässt sich heraushören, wenn Pich von ihren Kindheitscomics erzählt oder von der Underground-Comix-Szene der siebziger und achtziger Jahre in den USA schwärmt, die sie selbst, 1989 geboren, nicht miterlebt hat. Blickt sie in die Zukunft, gerät sie in Rage, vor allem, wenn das Gespräch das Thema KI im Comic streift: «Eine Maschine wird niemals die Verzweiflung oder die abgrundtiefe Beklopptheit der menschlichen Natur ausdrücken können. Nie!» Wie sich Pich die Welt in hundert Jahren vorstellt, erfährt man in «The Future Is», einer kürzlich bei Carlsen erschienenen Anthologie, die sie gemeinsam mit vierzehn anderen Zeichnerinnen bestreitet.
Ihre Comics schreibt Elizabeth Pich auf Englisch. Trotzdem suchte sie 2018 zeitgleich zu ihrem US-Verlag auch nach deutschen Verlagen, die an «Fungirl» Interesse haben könnten. Erfolglos. Dass es jetzt beim unabhängigen Deutschschweizer Verlag Edition Moderne doch noch klappt, hat verschiedene Gründe. Der Generationenwechsel beim Verlag dürfte da ebenso Einfluss haben wie die Tatsache, dass das Ansehen von Comics im deutschsprachigen Literaturbetrieb stetig steigt: Dieses Jahr etwa wurde mit Anke Feuchtenbergers «Genossin Kuckuck» zum ersten Mal überhaupt eine Graphic Novel für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert.
Schock in der Papiertüte
In den USA sorgte «Fungirl» für einen mittleren Skandal, an dem die Figur Freude gehabt hätte – Pich selbst weniger. Weil die Figur mit ihrem reduzierten Strich und der bunten Farbgebung harmlos anmutet, landeten ihre Eskapaden, in den USA als «mature» eingestuft, am jährlichen Free Comic Book Day fälschlicherweise in Papiertüten nichts ahnender Kinder. Die Erregung besorgter Eltern liess nicht lange auf sich warten. «Das war schwierig für den Verlag, der dann im Folgejahr nicht mehr beim Event mitmachen durfte», erzählt Pich mit Bedauern.
Diese Art Alarmismus in manchen Bundesstaaten trifft längst nicht «nur» Literatur für Kinder. Gerade das Verbieten von Comics, die LGBTIQ-Themen beinhalteten, habe mittlerweile auch die Erwachsenenliteratur erfasst. «Ich stelle es mir schrecklich vor, als queere Jugendliche in einem konservativen Bundesstaat zu leben und im Comic kaum Identifikationsfiguren zu finden», gibt Pich zu bedenken. Ihr Kaffee ist jetzt ausgetrunken, Pich steht abrupt auf, um rechtzeitig zu einer Signierstunde zu gelangen.
Wie wäre ein Gespräch mit Fungirl statt mit Pich verlaufen? «Reden würden wir wahrscheinlich nicht, aber auf einem Pferd durch die Innenstadt galoppieren. Und irgendwas würde wohl schieflaufen.» Pich findet es tröstlich, dass ihre Figur immer wieder aufsteht, egal in welche Misere sie reingerät: «Ich denke mir oft: Wenn sie überlebt, gibt es Hoffnung für uns alle.»