Durch den Monat mit Carola Rackete (Teil 4): Was halten Sie von der Dreadlock­debatte?

Nr. 17 –

Carola Rackete findet die Klassenfrage wichtig, Sahra Wagenknecht verstehe diese aber falsch. Die Aktivistin über zivilen Gehorsam, Identitätspolitik und Wut als Antrieb.

 Carola Rackete auf einem Baumhaus bei der Besetzung des Dannenröder Forst gegen den geplanten Ausbau der A49
«Es ist wichtig, dass Privilegien reflektiert werden. Dass ich zur Europawahl antreten kann, hat damit zu tun, dass ich einen deutschen Pass habe»: Carola Rackete. Foto: Boris Roessler, Keystone

WOZ: Carola Rackete, haben Sie Sahra Wagenknecht mal persönlich kennengelernt?

Carola Rackete: Nee, ich habe sie nie getroffen oder mit ihr gesprochen.

Im Herbst ist die Bundestagsabgeordnete aus der Linkspartei ausgetreten, um ihre eigene Partei, das Bündnis Sahra Wagenknecht, zu gründen. Sind Sie über diesen Austritt froh?

Ich halte es für fundamental wichtig, dass sich diese zwei Teile der Partei voneinander getrennt haben. So kann inhaltliche Klarheit entstehen. Das Programm der Linkspartei war zwar immer klar. Aber die einzelnen Mitglieder, die sich quer dazu äusserten, erhielten zu viel Aufmerksamkeit. Jetzt ist dieses Problem weg.

Sie kommen aus einer Familie, in der es häufig finanzielle Probleme gab. Wagenknecht argumentiert, dass die Klassenfrage in der linken Diskussion zu kurz komme. Sind Sie damit einverstanden?

Nein. Die Linke stellt die Klassenfrage, das ist mir auch persönlich wichtig. Nur ist diese Klasse viel diverser als in der traditionellen Vorstellung. Man muss sich anschauen, wer denn in Deutschland die prekär Beschäftigten und die Geringverdienenden sind: Das sind oft Menschen, die im Dienstleistungsbereich oder in der Pflege arbeiten – die häufig auch eine Migrationsgeschichte haben. Deren Themen zusammenzubringen, muss das Anliegen einer modernen linken Partei sein.

Da wären wir bei der sogenannten Identitätspolitik.

Die Lage der Pflegekräfte, der Paketboten und anderen Menschen mit niedrigen Einkommen ist keine Identitätsfrage. Ich finde es aber durchaus wichtig, dass Privilegien reflektiert werden. Dass ich aktuell zur Europawahl antreten kann, hat schon damit zu tun, dass ich überhaupt einen deutschen Pass habe. Und auch damit, dass ich durch Zufall mediale Aufmerksamkeit bekommen habe. Identitätspolitik wird aber häufig von der Rechten in ihrem Interesse genutzt. Sie redet eine Spaltung herbei mit der Absicht, ihre Wähler:innen zu mobilisieren. Dabei gibt es bei vielen wichtigen Themen eigentlich grosse Mehrheiten.

Sie tragen Dreadlocks. Was halten Sie von der Debatte um kulturelle Aneignung?

Grundsätzlich finde ich sie richtig. In Deutschland ist sie in meiner Wahrnehmung zuletzt etwas abgeflaut. Auch weil es Schwarze Menschen gab, die gesagt haben: «Das ist nicht das Hauptproblem» – anders als etwa Polizeigewalt oder Diskriminierung bei der Arbeits- oder Wohnungssuche. Als ich mir damals die Dreadlocks gemacht habe, war mir das Thema tatsächlich kaum bewusst. Ich würde sie in dem Wissen jetzt nicht mehr machen.

Wird Ihnen diese Frage oft gestellt?

Nein, eigentlich nie.

Zurück zur Klassenfrage: Klimaaktivist:innen wird oft vorgeworfen, dass ihre Blockadeaktionen gewöhnliche Arbeiter:innen – also die Falschen – treffen würden. Wie sehen Sie das?

Die Zustimmung zu den Aktionen der Klimabewegung hat in den letzten Jahren abgenommen. Ich glaube nicht, dass das nur an den Protestformen liegt. Es wurde auch zu wenig Gewicht auf das Thema «soziale Gerechtigkeit» gelegt. Beim Vorstoss der Bundesregierung zum Heizungsgesetz wurde zu Recht kritisiert, dass es keine soziale Komponente enthielt. Das trägt alles dazu bei, dass die Debatte um Klimaschutz als eine unsoziale wahrgenommen wird. Dabei könnte man sie genau auch andersherum führen, als eine Verteilungsfrage.

Sie haben früher Extinction Rebellion unterstützt. Waren Sie auch Mitglied?

Na ja, Mitglied im eigentlichen Sinn kann man gar nicht sein. Ich war am Anfang bei den Brückenprotesten in London dabei, dann kurz auch in Deutschland. Intensiver habe ich bei Ende Gelände und anderen Massenprotesten mitgemacht.

Gruppen wie Extinction Rebellion arbeiten viel mit der Angst vor der Zukunft. Brauchen wir denn nicht auch Hoffnung?

Es braucht auf jeden Fall Wut. Ökologische Ehrlichkeit verlangt anzuerkennen, dass die Situation scheisse ist. Wir müssen dringend handeln und uns zusammenschliessen. Das hat Extinction Rebellion auch getan. Die sagten ja nicht: «Geht nach Hause und weint.» Die Frage der sozialen Gerechtigkeit nach vorne zu stellen, ist aber wichtig. Und dann kann es, aus diesem Kampf um die Zukunft, auch Hoffnung geben. Mittlerweile engagiert sich die deutsche Bewegung vermehrt in Gewerkschaftskämpfen und lernt neue Methoden des Organizing kennen. Das gibt mir persönlich auch Hoffnung.

In der Widmung Ihres Buches «Handeln statt hoffen» steht: «Für alle Opfer des zivilen Gehorsams». Wie meinen Sie das?

Das habe ich etwas polemisch da reingeschrieben, weil so viel von zivilem Ungehorsam geredet wurde. Und darüber, was die Konsequenzen sind, wenn man etwas tut. Im Gegensatz zur Frage, was denn die Konsequenzen sind, wenn wir nichts tun. Diese Konsequenzen sind weniger sichtbar. Aber sie sind fatal.

Wenn in einem Wald in Deutschland protestiert wird, stehen die Chancen gut, dass Carola Rackete daran beteiligt ist. Sie war sowohl im Hambacher Forst als auch im Dannenröder Wald aktiv. Wo überall, weiss sie langsam selbst nicht mehr. Als Ökologin kümmert sie sich aber auch um neue Wälder.