Finanzierungsfragen: Der zweite und der dritte Streich
Leitet das klare Verdikt zur 13. AHV-Rente eine Rückkehr zur sozialen Marktwirtschaft ein?
Das Ja zur 13. AHV-Rente scheint die sozialstaatliche Finanzierungspolitik – zuvorderst im Bereich der Altersvorsorge und der Krankenkassenprämien – in Bewegung zu bringen. Denn das deutliche Verdikt vom 3. März erschüttert manche (neoliberale) Gewissheit. Das Stimmvolk traut der tonangebenden bürgerlichen Elite in Wirtschaft und Politik nicht mehr so richtig über den Weg. Manche Bürgerliche passen sich deswegen in Windeseile an: Was sie noch vor kurzem als linkes Teufelswerk verdammt hätten, erwägen sie nun zur Finanzierung des Rentenausbaus. So sind im Parlament aktuell eine Steuer auf hohe Erbschaften (ab fünf Millionen Franken) oder eine Steuer auf Finanztransaktionen im Gespräch.
Den Erbschaftsvorstoss des Berner EVP-Nationalrats Marc Jost unterstützen nicht nur Linke, sondern auch Politiker:innen von Mitte und GLP. Diese Steuer könnte schätzungsweise ein bis zwei Milliarden Franken jährlich in die AHV spülen. Wie viel Geld der zweite, sehr populäre Finanzierungsvorschlag, eine Transaktionssteuer auf Finanzgeschäfte, einbringen würde, ist hingegen völlig unklar. Der konservative Mitte-Ständerat Beat Rieder hat ein entsprechendes Postulat durchgebracht; nun hat der Bundesrat zu prüfen, wie eine solche Steuer auszugestalten wäre. Auf jeden Fall erforderten beide Steuern eine Verfassungsänderung – und somit zwingend eine Urnenabstimmung.
Fest steht: Die nachhaltigste und am einfachsten umzusetzende Finanzierung der AHV sind Lohnprozente, Mehrwertsteuer und Bundesbeiträge. Eine moderate Erhöhung der ersten beiden kann rasch erfolgen und die Finanzierung der 13. Rente sichern – ohne zwingende Volksabstimmung. Diese zuverlässige Lösung reden die Bürgerlichen nun schlecht, obgleich sie seit der Einführung der AHV verlässlich funktioniert und die Belastung insbesondere für den Mittelstand gering ausfällt.
Das Ja zur 13. AHV war erst der Anfang. Erste Umfragen zeigen, dass auch die Prämienentlastungsinitiative der SP gut ankommt. Zwar sind die Zustimmungswerte gut – sechzig Prozent würden heute ein Ja in die Urne legen –, aber nicht vergleichbar mit jenen einige Monate vor der AHV-Abstimmung (siebzig Prozent). Die Prämienlast ist für die Mehrheit der Haushalte drückend. In den letzten dreissig Jahren haben sich die Prämien geradezu verdoppelt. Ein Ja scheint möglich, ist aber noch längst nicht in trockenen Tüchern. Denn die Kosten für die Deckelung der Prämien bei zehn Prozent des verfügbaren Haushaltseinkommens sollen laut Schätzungen des Bundes bis zu acht Milliarden Franken jährlich betragen.
Und noch eine Verschiebung ist auffällig: Die AHV-Vorlage lehnten die meisten Medien ab. Jetzt legen sie den Finger in die Wunden des Gesundheitssystems und benennen die Verursacher:innen des Kostenwachstums: Die Tamedia-Zeitungen haben über die exorbitanten Löhne mancher Ärzt:innen oder die verfehlte Planung von Spitälern geschrieben; das Schweizer Fernsehen berichtete über die betrügerische Verrechnung von Arztleistungen in der Grössenordnung von einer Milliarde Franken – pro Jahr; auch die hohen Löhne der CEOs von Spitälern und Krankenkassen werden thematisiert. Der Druck auf das lobbydurchtränkte und reformunwillige Parlament steigt. Ein Ja zur Prämiendeckelung würde es zu griffigen Reformen zwingen.
Die 13. AHV war der erste, die SP-Initiative ist nun der zweite sozialpolitische Streich dieses Jahres. Der dritte, das Finale, wartet im September: Dann befinden die Stimmbürger:innen über die Reform der beruflichen Vorsorge (BVG-Reform), die die bürgerlichen Parteien im Frühling 2023 durchs Parlament gepeitscht haben. Die Reform ist teuer; die am schlechtesten Versicherten würden nur vorübergehend profitieren, die Frauen bekämen ein paar Brosamen, insgesamt würde das Rentenniveau weiter sinken. Der Streit entbrennt schon jetzt: Der Frauendachverband Alliance F hat soeben die Ja-Parole beschlossen und damit die SP-Frauen verärgert. Ein Nein im September liegt im Bereich des Möglichen. Es wäre das Ende der bürgerlichen Finanzierungsrezepte – und der Startschuss für eine Reform der zweiten Säule, die diesen Namen auch verdient.
Kommentare
Kommentar von kusto
Mi., 24.04.2024 - 21:13
Krankenkassenprämien plafonieren.
Jahrzehntelang haben sich hochbezahlte Lobbyistinnen Gesundheitsapostel, Ärztinnen, Apotheker, und die Pharmaindustrie, wie kleine Kinder um die richtigen Massnahmen gezofft. Zweitrangig war dabei, dass die entstandene Blockade, auf dem Buckel der Prämienzahler ausgefochten wurde. Dagegen haben sich die Leistungen nach dem neoliberalen Credo stets weiter ausgedünnt. Weniger Spitalbetten, weniger Hausärzte, weniger Gesundheitspersonal und noch mehr Spitalschliessungen. Die Spitäler müssen halt rentieren, darum gibt es immer mehr private Spezialkliniken, die sich die Filetstücke aus dem Kadaver herausschneiden. Warum wundern wir uns bei dieser Konstellation, dass die Prämien überdurchschnittlich steigen? Zwischenzeitlich schrauben sie sich in solche Höhen, wo sogar den mittelständischen Familien die Luft langsam ausgeht. In der griechischen Sage bezahlte Ikarus seinen Höhenflug mit dem Totalabsturz und das kann für unser Gesundheitswesen niemand wünschen. Mit Erschrecken stellen wir aber fest, dass die Prämien noch immer munter höher steigen. Bereits prognostizieren Experten für das nächste Jahr einen weiteren Prämienschub von rund 6%, die weit über der allgemeinen Teuerung liegen wird.
Eine vierköpfige Familie zahlt heute schon locker alle Jahre eine Prämie im Gegenwert eines bescheidenen Mittelklassewagens, wenn sie in der «Holzklasse» versichert ist. Das fühlt sich an wie eine happige Zusatzsteuer, der niemand entgehen kann und vor allem den Mittelstand trifft. – Wenn also schon Steuer, so sagen sich viele, dann sollen sie auch progressiv wirken, wie das jede vernünftige Steuer tut und viele werden deshalb vernünftigerweise der Prämienbeschränkung auf 10% des Einkommens zustimmen. Natürlich stoppt das die steigenden Kosten nicht, sie zwingt aber vor allem die Entscheidungsträger sich zusammenzuraufen und nicht weinerlich wie das Burkartsche FdP -Mantra nach mehr Wettbewerb zu schreien, der im Gesundheitswesen inexistent ist. Es ist wie bei der Bankenregulierung und Managerabzocke: Der freie Markt will keine Beschränkung, damit das Geld ungehemmt in die gleichen Taschen fliesst. Die Prämienzahler haben in einem neoliberalen System schlicht und ergreifend zu zahlen und nicht nachzufragen! – Die Tausenddollarfrage ist, wie entscheidet sich die Mehrheit? Fallen wir erneut auf die Horrorszenarien einer profitierenden Klasse herein?
Kurt Stöckly, Baar