Auf allen Kanälen: Eilige Hymnen

Nr. 19 –

Wenn Literatur so atemlos kommentiert wird wie ein Attentat: Auf das neue Buch von Salman Rushdie reagiert die Literaturkritik, indem sie die medialen Reflexe nach der Messerattacke kopiert.

stilisierter Ausschnitt aus dem Buchcover von «Knife»

12. August 2022: Im US-Bundesstaat New York wird Salman Rushdie auf offener Bühne von einem Islamisten niedergestochen. Der Schriftsteller, seit 1989 von Ajatollah Chomeini* mit einer Fatwa belegt, überlebt den Anschlag nur knapp und verliert dabei sein rechtes Auge. Das Entsetzen ist gross, die mediale Anteilnahme ebenso.

16. April 2024: Das Buch, in dem Rushdie die Messerattacke literarisch verarbeitet, wird weltweit lanciert. Es heisst «Knife», auch in der deutschen Übersetzung, der Untertitel ähnlich lapidar: «Gedanken nach einem Mordversuch». Weil das Buch in vielen Sprachen zugleich erscheint, ist es schon vor Erscheinen zum Bestseller prädestiniert. Zum literarischen Weltereignis wird es erst durch die Literaturkritik. Diese begleitet «Knife» in einer Ereignislogik, die die medialen Reflexe nach dem Anschlag kopiert: möglichst rasch, möglichst tagesaktuell. Als ob ein Buch ähnlich atemlos zu kommentieren wäre wie ein Attentat.

Das Zeitfenster ist extrem eng: Erst am Tag vor Erscheinen stellt der Verlag die digitalen Leseexemplare zur Verfügung. Es muss also sehr schnell gehen, das Lesen wie auch das Schreiben. Da kanns schon passieren, dass Rushdies Buch als «Roman» tituliert wird, wie im «Tages-Anzeiger» und in der «Süddeutschen Zeitung». Die Buchkritik, die in beiden Zeitungen erschien, steigt dann gleich mit einer mehrfach falschen Beschreibung des Anschlags ein. Weiter hinten schreibt der Kritiker, dass der Attentäter in dem Buch so gut wie nicht vorkomme. Hat er übersehen, dass Rushdie diesem ein ganzes Kapitel widmet, wo er den Täter in ein imaginäres Zwiegespräch verwickelt?

Keine Zeit für Kritik

Aber auch abseits solcher Schlampereien: lauter Hymnen, pünktlich zum Erscheinungstag oder tags darauf, von «taz» über «Blick» bis «Republik». Bezeichnend: Die Kritikerin der «NZZ am Sonntag», die wohl ein paar Tage mehr Zeit hatte, benennt als Einzige auch einige Schwächen von «Knife». In gewisser Weise entzieht sich Rushdies Buch ja tatsächlich jeder Kritik. Als Zeugnis eines Schriftstellers, der jahrzehntelang unter Polizeischutz leben musste und sich nach einem abscheulichen Angriff zurück ins Leben kämpft, zurück auch zum Schreiben, ist es unangreifbar. Aber wollte man es auch als literarisches Werk ernst nehmen, ist es das nicht. «Kunst», schreibt Rushdie selber an einer Stelle, «akzeptiert Streit, Kritik, sogar Ablehnung.»

Liest man «Knife» mit etwas Abstand zur medialen Andacht zum Erscheinungstermin, ist das ernüchternd. Einiges ist durchaus eindrücklich, nicht zuletzt das erste Kapitel, diese von assoziativen Abschweifungen durchsetzte und doch schmerzhaft präzise Rekonstruktion des Anschlags. Doch wo Rushdie zu literarischen Exkursen ausholt, führen seine Gedanken selten weit.

Oder dann, wie er seine späte grosse Liebe zu der (31 Jahre jüngeren) afroamerikanischen Dichterin Rachel Eliza Griffiths breitschlägt: Zwar führt er diese mit einer entwaffnend selbstironischen Slapstickszene ein, aber sein stellenweise peinliches Namedropping macht auch vor ihrer Familie nicht halt. Und wenn Rushdie die Solidaritätsnote von US-Präsident Joe Biden nach dem Anschlag wiedergibt und später sein eigenes Abschiedsmail an den todkranken Martin Amis, fragt man sich: Wo war das Lektorat, das den Autor vor solchen Eitelkeiten bewahrt hätte?

Mit den Waffen des Autors

Fast in jeder Kritik gepriesen wird Rushdies Humor. Dass er diesen nach dem Anschlag und der folgenden Tortur nicht verloren hat, kann man nur bewundern. Aber wenn er, weil der Täter einem Youtube-Hassprediger folgte, im Buch dauernd von «Imam Yutubi» schreibt: Flachwitz.

So ist der vielleicht heikelste Teil des Buches, Rushdies fiktiver Dialog mit dem Attentäter, letztlich der stimmigste. Statt die persönliche Begegnung zu suchen, entscheidet sich der Autor für eine Abrechnung, für eine Revanche mit seinen eigenen Waffen, der Sprache und der Erfindungsgabe. Wenn er sich hier des Täters bemächtigt, indem er diesen so sprechen lässt, wie er, der Autor, es will, so ist auch das ein Akt der Gewalt – aber eben unblutig.

Der Autor hat mit Worten zurückgeschlagen. Dass die Literaturkritik darauf in eilfertiger Andacht erstarrt, hat er nicht verdient.

* Korrigendum vom 8.  Mai 2024: In der Printversion sowie in der alten Onlineversion stand fälschlicherweise, dass Ajatollah Chamenei Salman Rushdie mit einer Fatwa belegt hatte. Es war aber Chameneis Vorgänger Ajatollah Chomeini, der die Fatwa ausgeprochen hatte. 

WOZ Debatte

Loggen Sie sich ein und diskutieren Sie mit!

Login

Kommentare