Migrationsabkommen: Die EU macht sich erpressbar

Nr. 19 –

Dem Libanon bringt das Asylabkommen mit der Europäischen Union dringend benötigtes Geld. Hunderttausende Syrer:innen im Land müssen sich vor Abschiebung und Folter fürchten.

13 772: So viele Syrer:innen haben die libanesischen Behörden laut dem Uno-Flüchtlingshilfswerk UNHCR allein 2023 verhaftet und nach Syrien abgeschoben. Die Massenrückführungen sind ein Horrorszenario für die Geflüchteten: Manche Abgeschobene sollen vom syrischen Regime verhaftet, gefoltert oder gar ermordet worden sein. Syrien, so sagen Menschenrechtsorganisationen denn auch unisono, ist kein sicheres Land für die Rückkehr von Geflüchteten.

Für eine Milliarde Euro

Dass die EU jetzt ausgerechnet mit dem Libanon ein Migrationsabkommen schliesst, das die Rechte syrischer Geflüchteter auf so eklatante Weise verletzt, ist ein Skandal. Bezeichnenderweise hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Abschiebungen bei der Verkündung des Abkommens letzten Donnerstag nicht angesprochen. Ihre Auslassung zeigt, wie viel die EU offenbar bereit ist zu opfern, um Geflüchtete fernzuhalten: die angeblich wertebasierte Aussenpolitik und vor allem den Schutz der syrischen Geflüchteten.

Über anderthalb Millionen Syrer:innen leben im Libanon. Ihre Lage ist seit Jahren prekär: Rund achtzig Prozent haben keinen legalen Aufenthaltsstatus, ihnen droht willkürliche Repression oder die Abschiebung. Über neunzig Prozent leben in Armut. Seit der Libanon 2019 in eine tiefe Wirtschaftskrise gestürzt ist, befinden sie sich in einer verzweifelten Situation. Hinzu kommt seit vergangenem Oktober die Furcht, dass sich der Krieg mit Israel ausweiten könnte.

In der Folge all dessen machen sich immer mehr Syrer:innen auf den gefährlichen Weg mit dem Boot Richtung Zypern. In den ersten drei Monaten dieses Jahres sollen rund 2000 Geflüchtete, die meisten davon Syrer:innen, die Insel erreicht haben. Der Deal, der nun Gegensteuer geben soll, folgt dem Prinzip der Abkommen, die die EU in den letzten Jahren mit der Türkei, Tunesien oder Ägypten unterzeichnet hat: Wir geben euch Geld, damit ihr verhindert, dass Boote mit Migrant:innen von euren Küsten aus Richtung Europa aufbrechen.

Im Fall des Libanon will die EU eine Milliarde Euro über drei Jahre hinweg bezahlen, als Unterstützung etwa für das Gesundheitswesen oder das Bildungssystem oder zur «Begleitung» von Wirtschaftsreformen. Ein kleinerer Teil soll an die staatlichen Sicherheitskräfte gehen. Es ist Geld, das die libanesische Regierung, die einen weitgehend bankrotten Staat verwaltet, unbedingt haben will.

Die Union macht sich zur Komplizin

Das Kernproblem ist bei allen Migrationsabkommen der Europäischen Union das gleiche: Indem die EU die Bekämpfung sogenannter illegaler Migration über alles andere stellt, macht sie sich erpressbar. Sie gibt den Regimes auf der anderen Seite des Verhandlungstischs ein Druckmittel in die Hand, um ein Wegschauen bei Menschenrechtsverletzungen einzufordern. Dass diese das Spiel verstanden haben, bewies der libanesische Minister für Vertriebene, Issam Scharafeddine, als er wenige Tage vor dem Besuch von der Leyens in Beirut süffisant vorschlug, der Libanon könnte sichere Seewege für Geflüchtete aus Syrien Richtung Europa garantieren. Was nach einem humanitären Angebot klingt, war eine Drohung an die EU: Der Libanon könne Syrer:innen auch zur Flucht mit dem Boot ermuntern.

Eine wertebasierte Aussenpolitik, wie sie die EU als Grundsatz propagiert, hätte zumindest bedeutet, dass sie vor dem Abschluss des Abkommens ihren Einfluss geltend macht und auf einen Stopp der Abschiebungen besteht. Stattdessen erteilt sie den libanesischen Behörden faktisch einen Blankoscheck genau dafür.

Seit Jahren benutzen libanesische Politiker:innen das Versprechen, syrische Geflüchtete loszuwerden, um von ihrem eigenen kolossalen Versagen bei der Bewältigung der Wirtschaftskrise abzulenken. Sollten in Zukunft mehr aus dem Libanon abgeschobene Geflüchtete vom syrischen Regime inhaftiert und gefoltert werden, so macht sich die EU mit diesem Abkommen dabei zur Komplizin.