Durch den Monat mit Luca Maggi (Teil 2): Wie haben sich die Fankurven verändert?
Die Kommerzialisierung des Fussballs hat auch genau jene Fanszenen stark wachsen lassen, die sie lautstark bekämpfen. Die Widerspenstigkeit der Kurven sei in sich politisch, findet der Sicherheitsverantwortliche des FCZ.
WOZ: Luca Maggi, worin besteht der Reiz, Fan eines Fussballvereins zu sein?
Luca Maggi: Das ist sehr individuell. Zuallererst sind es natürlich die Liebe zu diesem Sport und die Emotionen, die er auslöst. Es entstehen Freundschaften und Zusammengehörigkeit. All dies bindet Menschen an einen Fussballverein.
Auf den FC Zürich bezogen, würde ich sagen, dass die Südkurve in einer immer mehr durchkommerzialisierten Stadt für viele junge Menschen einen der letzten Freiräume darstellt. Einen Freiraum mit eigener Sprache und Codes. Die sozialen Kontakte gehen oft über die neunzig Minuten des Fussballspiels hinaus. Hinzu kommt, dass das Ganze bezahlbar ist. Wo sonst hat man für dieses Geld so viele Emotionen und Erlebnisse, reist und lernt unterschiedlichste Menschen kennen?
Wie haben sich die Kurven in den letzten Jahrzehnten verändert?
In den neunziger Jahren war ein anderes Publikum in den Schweizer Fussballstadien, als dies heute der Fall ist. Es hatte teilweise etwas Anrüchiges, Fussballfan zu sein. Heute ist der Fussball auch hier kommerzialisiert und in die Mitte der Gesellschaft gerückt – wobei sich parallel dazu auch eine subkulturelle Fanszene herausgebildet hat. Es ist ein bisschen widersprüchlich: hier die Kommerzialisierung des Fussballs mit all seinen wirtschaftlichen Interessen und Abhängigkeiten, dort die Fankurven als Freiräume, die genau dieser Kommerzialisierung sehr kritisch gegenüberstehen.
Und welchen Stellenwert hat die Südkurve, also jener ungezähmte Teil des FCZ-Publikums, in der Stadt Zürich?
In einer Choreografie schrieb die Südkurve: «Viele Städte haben einen Fussballverein, unserer hat eine Stadt.» Wie lebendig diese Subkultur ist, ist in der ganzen Stadt sichtbar. In Beizen werden die Spiele übertragen, in den Restaurants sieht man da noch einen FCZ-Wimpel, dort noch einen Schal platziert. Ganz zu schweigen von den Klebern überall. Eine solche Subkultur nimmt sich immer mal wieder Freiheiten heraus, die rechtlich gesehen mindestens grenzwertig, manchmal auch grenzüberschreitend sind.
Und wie soll mit solchen Grenzüberschreitungen umgegangen werden?
Als Klub sagen wir unmissverständlich: Gewalt ist immer falsch. Auch Sachbeschädigungen können nicht toleriert werden, wozu rechtlich gesehen auch Sticker und Graffiti gehören. Der Rechtsstaat steht natürlich in der Pflicht, diese Vergehen zu verfolgen. Als Klub sprechen wir Stadionverbote aus, wenn Grenzen überschritten werden.
In der Realität passieren täglich tausendfach Gesetzesbrüche, die nicht geahndet werden. In einer freiheitlichen Gesellschaft gibt es keine absolute Sicherheit. Im Fussball, habe ich das Gefühl, wird mit einer Lupe hingeschaut. Stellen Sie sich vor, alle würden jedes Mal gebüsst, wenn sie bei Rot über die Strasse gehen. Das Gute an einem freiheitlichen Staat ist, dass er kleine Rechtsbrüche auch mal zulässt; erst wenn Grenzen in relevantem Mass überschritten werden, muss er eingreifen. Die Frage lautet aber immer: Welches ist die richtige Reaktion? Sanktionen müssen verhältnismässig und mit Augenmass verhängt werden – und sehr wichtig: Sie müssen die wirklichen Täter:innen treffen. Dass härteres Vorgehen von rechts gefordert wird, ist angesichts deren eher repressiver Politik keine Überraschung. Mich überrascht hingegen, dass der Ruf nach Härte gegenüber Fussballfans, im Gegensatz zu anderen politischen Themenfeldern, immer wieder auch von links kommt.
Wie erklären Sie sich das?
In diesem Zusammenhang vernehme ich oft die Ansicht, Fussballfans seien apolitisch, es gehe nur ums Saufen und Pöbeln. Dabei: Freiräume erobern, gesetzliche Grenzen ausloten, eigene Forderungen stellen – das ist politisch. Wer einst Forderungen wie «Freier Blick aufs Mittelmeer – sprengt die Alpen!» als politisch ansah, sollte doch auch dafür ein gesellschaftliches Verständnis haben und nicht einfach nach Repression und Kollektivstrafen rufen.
Bemerkenswert ist die Mobilisierungskraft der Fanszenen. Vergangene Saison hat die Südkurve zu einer Demo gegen eine Sektorsperrung der Polizeidirektor:innenkonferenz aufgerufen, und prompt standen am Sonntagmittag über 2000 Menschen da und liefen durch die Stadt. Das ist politisch.
Sie sind selbst Fussballfan – und genau deswegen wurde Ihr Engagement als Sicherheitsverantwortlicher teils auch kritisiert. Was haben Sie dem zu entgegnen?
Es ist ein grosser Vorteil, einen Draht zu den Fans zu haben. Das bedeutet nämlich, dass man sich gegenseitig ernst nimmt und sich mit der Vielschichtigkeit der Materie auskennt. In meinem Amt geht es auch darum, die Interessen unterschiedlicher Gruppen zu moderieren. Man amtet ein Stück weit als Mediator zwischen Fans, Klub, Liga, Behörden und Polizei. Wenn durch meine Arbeit ein Dialog auf Augenhöhe möglich ist, kann sie einen Beitrag an einen möglichst reibungslosen Ablauf der Spieltage und einen realistischen Umgang mit sozialen Bewegungen, wie es die Fans sind, leisten.
Ganz plötzlich fängt nun auch noch die Fussball-EM an – und wie alle linken Fussballfans muss sich auch Luca Maggi (34) fragen, wie er sich zu einem solch kommerziellen Grossereignis verhält.