Arme Reiche: Erben für alle
Der Mensch sei ein geldscheffelndes Tier, heisst es in Herman Melvilles «Moby Dick» – und je weiter er es in diesem Metier bringt, desto sensibler wird er offenbar. Zumindest legen diesen Schluss die jüngsten Hilferufe Ultravermögender wegen der bereits im Februar von der Juso eingereichten «Initiative für eine Zukunft» nahe. Diese sieht vor, eine Erbschaftssteuer auf Bundesebene einzuführen. Jenseits eines Freibetrags von fünfzig Millionen Franken soll diese fünfzig Prozent betragen, um damit den ökologischen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft zu finanzieren. Bei von Überreichtum Betroffenen wie dem Milliardär und Bahnindustriellen Peter Spuhler oder seiner Leidensgenossin Magdalena Martullo-Blocher löst dieses Vorhaben Fluchtimpulse aus: Man überlegt, ob man nicht vielleicht irgendwo im Ausland besser aufgehoben wäre.
Dabei liesse sich argumentieren, dass ein Steuersatz von fünfzig Prozent zwar nach viel klingen mag, der Sache nach aber moderat ist. Gerade Liberale betonen ja, Gesellschaften sollten am besten so eingerichtet sein, dass Leistung darüber entscheidet, wie gut die Einzelne dasteht. Eine Erbschaft ist dagegen der Inbegriff leistungslosen Einkommens. Es ist schlicht Zufall, ob man beispielsweise eine Immobilie vermacht bekommt oder eben nicht, doch es hat enorme Auswirkungen auf die persönlichen Lebenschancen. Die eine muss Monat für Monat einen beträchtlichen Teil ihres Einkommens für die Miete ausgeben, der andere wird umgekehrt selbst zum Vermieter. Einfach so.
Das ist eine schreiende Ungerechtigkeit, die dem urbürgerlichen Gleichheitsprinzip widerspricht. Überhaupt wirkt die aktuelle Praxis wie ein Überbleibsel aus feudalen Zeiten, als der Adel Titel an die eigenen Sprösslinge weitergab. Politische oder rechtliche Privilegien mögen zwar inzwischen abgeschafft sein, materielle gibt es aber heute mehr denn je. Seit dem Ende der «Trente Glorieuses», jener bis etwa Mitte der siebziger Jahre währenden historischen Ausnahmephase, als man die materielle Teilhabe weiter Kreise der Gesellschaft vorantrieb, ist die Ungleichheit zwischen Arm und Reich international immer weiter gewachsen – und ob man nun im Prekariat darbt oder sich auf Fachmessen für Superjachten herumtreibt und Medien zur Propagierung eigener politischer Interessen aufkaufen kann, hängt in der Regel davon ab, aus was für einem Elternhaus man kommt.
So gesehen stellt sich die Frage, warum sich moderne Demokratien überhaupt noch einen solchen Anachronismus leisten. Ergänzend zu einer weitreichenden oder gar vollumfänglichen Besteuerung grosser Hinterlassenschaften liesse sich ein Vorschlag aufgreifen, den Thomas Piketty vor drei Jahren ins Spiel gebracht hat: Der französische Ökonom plädierte damals für das Modell einer «Erbschaft für alle», bei dem jeder und jede mit dem 25. Geburtstag 120 000 Euro überwiesen bekäme, gegenfinanziert durch einen Mix aus einer progressiven Vermögens- und Erbschaftssteuer. Für Piketty wäre dies die einfachste Lösung, das Problem der von Generation zu Generation weitergereichten Ungleichheit anzugehen, das ja nicht nur unter Gesichtspunkten der Gerechtigkeit drängt, sondern auch, weil es die soziale Polarisierung verschärft und rechte Bewegungen befeuert.
Vermutlich würde ein solches Programm in der Schweiz (mit entsprechend angepassten Zahlen) noch mehr Schneeflöckchen mit grossem Portfolio scheu machen. Und es ist auch nicht einfach so, dass die Drohung, Reichtum könnte verschoben werden, ein blosser Papiertiger ist – davon zeugen historische Erfahrungen linker Regierungen wie etwa in Frankreich Anfang der Achtziger, als man sich unter François Mitterrand Umverteilung und Vergesellschaftung auf die Fahne geschrieben hatte und daraufhin eine Kapitalflucht im grossen Stil einsetzte. Letztlich sind das antidemokratische Manöver einer Oligarchie. Aus Prinzip sollte man bei solchen Erpressungsversuchen dagegenhalten: Eine Schweiz ohne Spuhler und Martullo-Blocher ist vorstellbar.