Pop: Ein «Fuck you» an die Verflossenen
So banal und doch so kompliziert: Die Londonerin Lola Young spielt auf ihrem zweiten Album die Gefühlslagen nach einer Trennung auf schnoddrigste Weise durch.
Lola Young sieht aus, als ginge es gleich an ihren eigenen Kindergeburtstag, im Faltenrock und dem bunten Kapuzenpulli, so trotzig, als hätte irgendwas nicht geklappt: nicht das richtige Essen vielleicht oder nicht genug Leute da oder sonst irgendein Reinfall. Sie befindet sich in einem Zimmer mit abblätternder Wandfarbe, einem maroden Radiator und rotem Spannteppich, ausser ihr steht in diesem furchtbar klaustrophobischen Raum noch eine mehrstöckige Geburtstagstorte, und es ist natürlich klar, was hier gleich passieren wird.
«Messy» heisst der Song, zu dem dieses Video erschienen ist; ein Höhepunkt auf «This Wasn’t Meant for You Anyway», dem schon zweiten Album der 23-jährigen Londonerin Lola Young. «Hier kommt mein Erstgeborenes und ein ‹Fuck you› an all meine Exen», schrieb Young in der Ankündigung auf Instagram (ihr erstes Album, «My Mind Wanders and Sometimes Leaves Completely», erschienen 2023, bezeichnet sie selbst nicht als Album, sondern als Projekt). Im Video liegt die Torte dann schon mit den ersten Takten des Refrains zermatscht im Zimmer verstreut, eingespielt als Still; dann springt alles wieder zurück zum Alten, und Young tänzelt sich betont nachlässig weiter durch diesen Song und immer näher an die Torte heran, bis sie am Schluss noch die Kerzen ausbläst.
Halbwegs in Ordnung
Young hat an der renommierten Brit School studiert, die so schillernde Alumni wie Adele, Kae Tempest, FKA Twigs, King Krule oder Amy Winehouse vorzuweisen hat. Mit Letzterer verbindet Young auch der Manager Nick Shymansky, der sich, erschüttert durch den frühen Tod seines Schützlings Winehouse, 2011 aus der Branche zurückgezogen hatte. Er sei dann, so erzählt man sich, von Youngs Talent so überzeugt gewesen, dass er nun ihretwegen aus der Pension zurückgekehrt sei. Von vielen wird Lola Young schon als nächster grosser Star gehandelt. Mit Winehouse und ebenso mit Adele wird sie ausserdem auch der starken Stimme wegen immer mal wieder verglichen, wirklich ähnlich ist sie den beiden mit ihrer weitaus pampigeren Attitüde allerdings kaum. Typisch für Young sind auch Passagen nahe an Spoken Word: Ein fragiler «Stream of Consciousness» etwa eröffnete letztes Jahr «My Mind Wanders and Sometimes Leaves Completely» als eine Art Bestandesaufnahme ihres aktuellen Daseins. «I’m a fuck up», deklamierte sie, nur um gegen Schluss anzumerken, dass das weniger ein «Stream of Consciousness» sei als ein «big fat fucking no one asked».
«This Wasn’t Meant for You Anyway» verhandelt nun über weite Strecken mehr oder weniger schmerzhafte Ex- oder Bald-Ex-Beziehungen. «Conceited» etwa, mit seiner eingängigen Bassline und den klingenden Synths wie Zucker fürs Hirn: «Wenn ich nüchtern bin, schmeckst du nach nichts», singt Young hier. Oder: «Ich wollte eh schon sterben, jetzt machst dus noch zehnmal schlimmer.» «Messy» beschreibt jene Phase, in der man sich erhobenen Hauptes entscheidet, sich fürs Gegenüber keinesfalls mehr verbiegen zu wollen (aber ganz ehrlich, man würde sofort, wenn es denn wirklich möglich wäre): «A thousand people I could be for you and you hate the fucking lot», singt Young – tausend Versionen könnte ich sein für dich, und du hasst sie alle. Und wenn dann allzu selten mal jemand auftaucht, der halbwegs in Ordnung wäre, wie im zarten, folklastigen «You Noticed» («Ich hab mich schön geschminkt und du hasts gemerkt»), wills zum Schluss dann doch nicht funktionieren.
Viel Spass
Ein Trennungsalbum, das sich in erster Linie um das eigene aufgeraute Innenleben dreht, darüber, weder ein noch aus zu wissen und daraus folgend die eigenen Unsicherheiten und Selbstüberschätzungen in den Mittelpunkt zu stellen – das kann natürlich krachend schiefgehen. Aber es ist ein bisschen wie mit der Geburtstagstorte, die im Video ganz sicher zerstört werden wird: Wir wissen ungefähr, was gleich passiert, aber das heisst noch lange nicht, dass das Dabeisein nicht sehr viel Spass machen kann. Bei Young kommt die Angelegenheit auch deswegen gut, weil noch in der traurigsten Ballade eine gewisse Mittelfingrigkeit mitschwingt und in aller Selbstbezogenheit eine angemessene Ironie; auch weil ihre Texte so schnoddrig und eigenwillig geschrieben sind (vermutlich hilft dabei auch ihr Südlondoner Akzent).
Der Raum mit dem roten Spannteppich taucht übrigens immer wieder auf: Im Video zu «Crush» streicht Young darin die Wände rot; in jenem zu «Walk On By» dekoriert sie das Zimmer mit billigen LED-Lichterketten, in «You Noticed» sieht man sie von oben gefilmt auf dem Teppich liegen, in «Big Brown Eyes» sitzt sie inmitten fünf aufgeregt wedelnder Hunde. Es braucht wirklich wenig, um Lola Young leuchten zu lassen, das wird hier fast überbetont; ebenso ihre Coolness, wie sie da im modischen Vokuhila, meist in Baggypants und knapp bauchfreiem Kapuzenpulli tendenziell unmotiviert ihren Tätigkeiten nachgeht. Schaut man sich Livevideos von ihr an, wird ihre enorme Präsenz eindeutiger: Eine dezidierte Performance ohne grosse Gesten, auch ihre Stimme muss Young nicht zum Äussersten drücken, um klarzumachen, dass der Raum ganz ihr gehört.