Auf allen Kanälen: Halbwahr hält länger
Z wie Zensur? Die Reizwörter des Aufregungsfeuilletons geistern durch manche Kritiken des neuen Romans von Alain Claude Sulzer. Dabei wüsste man es längst besser.
Immer wieder verblüffend: Ist ein Kulturkampfnarrativ samt seinen obligaten Triggerwörtern einmal in der Welt, wird es laufend wieder neu kolportiert, gern auch wider besseres Wissen. Halbwahrheiten halten länger, das zeigt sich auch jetzt, da die ersten Kritiken des neuen Romans von Alain Claude Sulzer erschienen sind. «Fast wie ein Bruder» heisst das Buch, das im Juni 2023 noch während seiner Entstehung für Schlagzeilen sorgte – und damit auch viel Aufmerksamkeit auf sich zog, samt politischem Nachspiel. Der Autor hatte damals unter Protest ein Fördergesuch zurückgezogen, weil er für die Kulturabteilungen beider Basel hätte darlegen sollen, wieso in der eingereichten Textprobe die heute laut Duden diskriminierende Bezeichnung «Zigeuner» verwendet wird (siehe WOZ Nr. 25/23).
Das möchte man jetzt gern auch die «Schweiz am Wochenende» fragen, wenn sie zu ihrer Besprechung von Sulzers Künstlerroman wie ein trotziges Kind die Schlagzeile setzt: «So gut ist der ‹Zigeunerroman›». Der Kritiker ist jedenfalls begeistert von Sulzers Roman; den Basler Kulturverantwortlichen dagegen unterstellt er «Gesinnungsschnüffelei» und «woken Furor». Ähnlich tönt es beim Deutschlandfunk, wenn die Kritikerin in ihrem Schlusswort beklagt, dass ein «eilfertiger, geschichtsvergessener Sprachpurismus» den Autor um einen Werkbeitrag gebracht habe. Und für den Kritiker der NZZ, wieso auch immer, wäre Sulzers Buch sogar beinahe verschwunden: «Es entging dem Verschwinden in der Form des Cancelns.»
Was wirklich schiefläuft
Da sind sie also wieder mal versammelt, die einschlägigen Reizwörter des Aufregungsfeuilletons: Wokeness, Sprachpurismus, Cancel Culture. Und wie so oft gilt auch hier: Die Begriffe zielen nicht nur an der Sache vorbei, sie verschleiern auch mehr, als sie erhellen.
Das macht die Vorgänge bei der Basler Literaturförderung nicht weniger bedenklich. Aber die ganze Affäre ist auch ein Lehrstück darüber, wie solche medialen Kampfbegriffe den Blick für das verstellen, was in der Sache wirklich schiefläuft. Das fing schon mit Alain Claude Sulzer selber an, der sich, als die «NZZ am Sonntag» den Eklat publik machte, zum Opfer stilisierte: «Das erfüllt den Tatbestand der Zensur.» Begrifflich weit daneben, aber maximale Aufmerksamkeit war ihm damit sicher. Und wenn jetzt der Literaturkritiker der «Schweiz am Wochenende» suggeriert, vom Autor sei damals verlangt worden, seine Wortwahl «gesinnungsethisch» zu begründen, muss man festhalten: Nach einer solchen Begründung hat allerdings nie jemand auch nur implizit gefragt. Der «Perlentaucher» wiederum ist offenbar auf dem Wissensstand vom letzten Sommer stehen geblieben, wenn dort resümiert wird, die Basler Literaturjury sei gegenüber Sulzers Fördergesuch «kritisch eingestellt» gewesen, weil «der Autor kontinuierlich mit Stereotypen rund um das Z-Wort» arbeite.
Wer wollte, könnte es inzwischen besser wissen, dank des klärenden Berichts der Geschäftsprüfungskommission (GPK) des Kantons Basel-Stadt. Demnach hatte die Fachjury Sulzers Projekt sogar ausdrücklich zur Förderung empfohlen – die Fragen zur Verwendung des Z-Worts hätte eine Delegation der Jury in einem persönlichen Gespräch mit dem Autor klären wollen.
Veto aus Baselland
Über dieses Vorgehen setzten sich die Kulturchefinnen der beiden Basel hinweg, indem sie Sulzer ohne Rücksprache mit der Fachjury zur Stellungnahme aufforderten – und dem Autor dabei verschwiegen, dass diese seinen Antrag gutgeheissen hatte. Die Kulturchefin von Baselland, Esther Roth, hatte gar ihr Veto gegen die Empfehlung der Jury eingelegt.
Das erfüllt den Tatbestand der amtlichen Willkür. Zumal die Motive unklar sind, weil sich die beiden Chefbeamtinnen zum GPK-Bericht nicht äussern. Auch die «Basler Zeitung» konnte darüber nur mutmassen und benannte zwei Möglichkeiten: Ideologie, also politische Überzeugung; oder aber Angst, dass man sich dereinst gegen Vorwürfe würde rechtfertigen müssen, ein Buch mit «diskriminierender» Rede gefördert zu haben. Für ihre Einschätzung hatte die «Basler Zeitung» keinerlei Kulturkampfjargon nötig – sie lieferte damit die bislang klarste Darstellung der ganzen Geschichte.
Eine Rezension des neuen Romans von Alain Claude Sulzer folgt zu einem späteren Zeitpunkt.