Sicherheitspolitik: Die Schlacht der «Expert:innen»
Viola Amherd setzt auf eine «unabhängige» Studienkommission, um ihre Interessen durchzusetzen. Karin Keller-Sutter ebenso. Die Debatte um die Armeefinanzierung wird falsch geführt, kommt nicht voran – und dreht sich um die falschen Fragen.
Seit Monaten diskutieren die Politiker:innen in Bundesbern immer wieder dieselbe Frage: Wie kommt die Armee so rasch wie möglich an so viel Geld wie möglich? Sie wird auch in der Herbstsession, die am Montag beginnt, viel Raum einnehmen. Im Nationalrat sind gleich zwei Tage für die Armeebotschaft 2024 eingeplant. Konkret geht es um knapp 30 Milliarden Franken, die die Armee für die kommenden vier Jahre erhalten soll, und ein jährliches Ausgabenbudget von deutlich über 10 Milliarden Franken ab 2030 – heute liegen die jährlichen Ausgaben bei 5,7 Milliarden.
Die bürgerliche Parlamentsmehrheit steht grundsätzlich hinter der gewaltigen Aufrüstung. Doch es gibt ein Problem: Das Geld ist knapp. Die Bundesfinanzen sind zuletzt ins Defizit gerutscht, und die rigorose Einhaltung der Schuldenbremse verringert den politischen Spielraum erheblich. Das hat in den vergangenen Monaten zu teils abenteuerlichen Vorschlägen geführt. Gefordert wurde etwa die Einführung einer Wehrsteuer, die radikale Kürzung der Gelder für die internationale Zusammenarbeit oder die Einführung eines 15-Milliarden-Spezialfonds an der Schuldenbremse vorbei. Keiner dieser Vorschläge hat es bisher durchs Parlament geschafft.
Amherds süffisantes Lächeln
Ende letzter Woche versuchte Verteidigungsministerin Viola Amherd (Die Mitte), einen Befreiungsschlag zu landen. Eine von ihr eingesetzte, «breit zusammengesetzte» Studienkommission legte einen Bericht zur Sicherheitspolitik vor. Bezeichnenderweise war die interessanteste Seite des Berichts die letzte. Dort waren die Kommissionsmitglieder aufgelistet sowie die eingeladenen Expert:innen. Eine klare Mehrheit der Akteur:innen stammt aus dem Armee-, Rüstungs- oder Wirtschaftsbereich, während etwa die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee fehlt, die wichtigste friedenspolitische Organisation des Landes. Entsprechend lesen sich die Empfehlungen der Kommission wie eine Wunschliste von Amherd und ihrem gewieften Armeechef Thomas Süssli: eine möglichst rasche Erhöhung des Armeebudgets, eine noch engere Kooperation mit der Nato, eine umfassende Lockerung der aktuellen Waffenexportbestimmungen und eine flexiblere Auslegung der Neutralität.
Jene wenigen Kommissionsmitglieder, die andere Positionen vertreten hatten, übten ungewöhnlich heftige Kritik an der Kommissionsarbeit. Grünen-Nationalrätin Marionna Schlatter sprach von einer «Farce», SVP-Nationalrat Thomas Hurter von einem «Gefälligkeitsgutachten». Der ursprünglich eingesetzte Berichterstatter Christian Catrina, ehemals ein hoher Beamter im Verteidigungsdepartement, hat bereits vor einem Jahr frustriert das Handtuch geworfen, und auch der jurassische SP-Nationalrat Pierre-Alain Fridez trat vorzeitig aus. Der Hauptvorwurf: Es habe nie Interesse an einer wirklichen Diskussion gegeben, nach Inputreferaten von «Expert:innen» sei es jeweils sehr rasch zu Abstimmungen gekommen. Nach der Präsentation des Berichts lächelte Amherd diese Kritik süffisant weg. Sie wisse nicht, wie sie die Kommission breiter hätte aufstellen sollen, sagte sie.
Keller-Sutters Konter
Weit mehr Kopfzerbrechen dürfte der Verteidigungsministerin ein weiterer Expert:innenbericht bereiten, der wahrscheinlich noch diese Woche präsentiert wird: Denn auch Finanzministerin Karin Keller-Sutter (FDP) setzte auf eine Expert:innenkommission, um Sparpotenzial bei den Bundesfinanzen auszumachen. Gemäss «NZZ am Sonntag», die den Bericht einsehen konnte, lautet ein Vorschlag: Die Armee soll weniger rasch hochgerüstet werden. Pünktlich zum Auftakt der Session ist die Debatte also zurück auf Feld eins: Aufrüstung forcieren oder Schuldenbremse einhalten?
Das ist ermüdend, und dass der Bundesrat die Frage der Aufrüstung in die Hände sogenannter Expert:innen legen will, ist eine Bankrotterklärung. Sie ist eine politische und muss auch von der Politik gelöst werden. Vor allem aber ist es die falsche Frage. Viel wichtiger wäre eine Debatte darüber, was Sicherheit eigentlich bedeutet. Ist es sinnvoll, unser Geld für milliardenteure Kampfjets und Panzer auszugeben? Geld, das in anderen Bereichen fehlen wird: in der Gesundheitsversorgung, beim Ausbau der Erneuerbaren, bei der Bewältigung der Klimakrisenfolgen.