Ausserfamiliäre Kinderbetreuung : «Kinder haben null Priorität»

Nr. 37 –

Am meisten Einsparpotenzial sieht die Expert:innengruppe bei den Ausgaben für Kitas, die noch nicht einmal beschlossen sind. Damit könnte ein einst breit abgestützter Plan endgültig scheitern.

Es ist der grösste Posten des ganzen Berichts: 896 Millionen Franken – ein Sechstel der Gesamtsumme von fünf Milliarden Franken – sollen in der «familienergänzenden Kinderbetreuung» gestrichen werden. Der Vorschlag fällt in die «Massnahmengruppe 2», in der die Expert:innen rund um Serge Gaillard dem Bundesrat empfehlen, «auf Beiträge bzw. Leistungen zu verzichten, bei denen der Bund im Zuständigkeitsbereich der Kantone aktiv geworden ist». Mit anderen Worten: Bezahlen (oder ebenfalls sparen) sollen die Kantone.

Die Finanzierung der Kinderbetreuung sei grundsätzlich nicht Sache des Bundes, heisst es im Bericht weiter – und in einer Klammer wird bemerkt: Der Bund solle «insbesondere» auf den vom Parlament geplanten «starken Ausbau» gänzlich verzichten. Dieser trage zum «starken Kostenwachstum» bei. Damit ist womöglich eine weitere Runde im zähen Ringen um die Kitafinanzierung eingeläutet – und Finanzministerin Karin Keller-Sutter ist ihrem Ziel, diese in die Kantone abzuschieben, ein Stück nähergerückt.

Einst sah es gut aus für die Befürworter:innen einer permanenten Kitafinanzierung durch den Bund: Im Februar 2023, noch vor den letzten Wahlen, beschloss eine breite Mitte-Links-Allianz im Nationalrat, dass der Bund sich dauerhaft an der Finanzierung von Kindertagesstätten und Tagesschulen beteiligen und flächendeckend rund zwanzig Prozent der Kosten aus der Staatskasse bezahlen solle.

Finanziell instabile Kitas

Ein eigentlich längst fälliger Schritt: Seit 2001 bestanden die Kitabeiträge des Bundes aus einer immer wieder erneuerten Anschubfinanzierung, die zwar jeweils mehr Plätze in Kindertagesstätten und Tagesschulen ermöglichte, jedoch die laufenden Betriebe nicht ausreichend finanzierte. Die Folgen sind heute in praktisch allen Kantonen sichtbar: Viele Kitas arbeiten finanziell am Limit, die Löhne der Betreuer:innen sind tief, die Plätze teuer, das Angebot knapp.

Die permanente Lösung hätte laut SP-Nationalrätin Min Li Marti «Elternbeiträge verbilligt, Kitas finanziell stabilisiert und Anreize für die Kantone geschaffen, sich an den Kosten zu beteiligen». Im ersten Jahr hätte der Bund 710 Millionen Franken aufwerfen müssen. Nicht nur Parlamentarier:innen von SP, Grünen, GLP und FDP waren für eine entsprechende Vorlage – auch die Städte, Gemeinden und die kantonalen Sozial- und Erziehungsdirektor:innen trugen sie mit, ebenso der Arbeitgeberverband.

Von Keller-Sutter ausgedribbelt

Doch dann verkündete Karin Keller-Sutter im Sommer 2023 ein Sparpaket: Der Anteil für die Kantone aus der direkten Bundessteuer solle um jährlich 200 bis 300 Millionen gekürzt werden – mit dem Ziel, dass die Kantone indirekt etwas beitragen würden, wenn der Bund für Kitas bezahlen müsste. Damit hatte Keller-Sutter die Vorlage ausgedribbelt, die Kantone schreckten zurück, der Ständerat – mit den Wahlen Ende 2023 noch weiter nach rechts gerückt – kippte die nationalrätliche Vorlage: Kitabeiträge sollten stattdessen an die Eltern als Betreuungszulage mit dem Lohn ausbezahlt werden. Das brachte den Arbeitgeberverband gegen die Vorlage auf, auch die FDP-Frauen, ursprünglich noch dafür, lehnen sie inzwischen ab – und die Konferenz der kantonalen Sozialdirektor:innen ist uneins.

Obwohl noch gar nichts beschlossen ist und die Vorlage eh schon auf der Kippe stand, hat sie nun auch der Bericht Gaillard ins Visier genommen – und sich im Sinne Keller-Sutters dagegen ausgesprochen. Das verärgert selbst die GLP, die die Sparvorschläge grundsätzlich gutheisst: In der bundesrätlichen Botschaft dürfe es nicht um Vorlagen gehen, die ohnehin schon im Parlament seien, sagt Fraktionspräsidentin Corina Gredig. «Das ist eine institutionelle Frage: Der Bundesrat soll sich nicht in ein laufendes Geschäft einmischen.» Auch in der Sache übt Gredig Kritik: Investitionen in die Kinderbetreuung seien wichtig. «Heute Geld auszugeben, tut morgen vielleicht weh. Aber kein Geld auszugeben, kann auch wehtun.»

Die Schweiz liegt im Vergleich der OECD-Länder auf den hintersten Rängen, was die Vereinbarkeit von Familie und Beruf betrifft. In keinem Land sind die Kitakosten für Eltern höher, in erster Linie, weil die staatliche Unterstützung so tief ist. Nur 0,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts wird für Betreuungsstrukturen ausgegeben, viel weniger als für die Armee, die 0,8 Prozent beansprucht.

Pure Austerität

Mit dem Bericht werde einmal mehr deutlich gemacht, dass es nicht darum gehe, Probleme zu lösen, sondern Austeritätspolitik zu betreiben, sagt Marti. «Kinder, Familien, Frauen haben dabei null Priorität.»

Nun liegt die Hoffnung der Befürworter:innen der Kitavorlage auf der Stimmbevölkerung: Letztes Jahr hat ein breit aufgestelltes Komitee mit Vertreter:innen von der Linken bis in die Mitte die «Kita-Initiative» eingereicht. Diese sieht vor, dass jedem Kind ab drei Monaten ein Recht auf einen Kitaplatz eingeräumt wird und ausserdem die Betreuungskosten zehn Prozent eines Haushaltseinkommens nicht übersteigen dürfen.

Das würde weit mehr kosten als der ursprüngliche Vorschlag des Nationalrats, die Initiant:innen rechnen mit 2,3 Milliarden Franken im ersten Jahr. Der Bundesrat hat die Initiative bereits zur Ablehnung empfohlen. Wann sie zur Abstimmung kommt, ist noch offen.