Hochwasser: Flüsse als Teil der Lösung
Gebrochene Dämme, überflutete Innenstädte, mindestens 23 Tote: Die Überschwemmungen in Mittel- und Osteuropa sind dramatisch. Früher hätte man es «Jahrhunderthochwasser» genannt. Heute gibt es mehrere solche Ereignisse pro Jahrzehnt.
Bei einer sogenannten Fünf-B-Wetterlage zieht warme, sehr feuchte Luft vom Mittelmeer nach Nordosten. Die Unwetter in den Alpen 2005 wurden von einer solchen Wetterlage ausgelöst, genauso das Elbhochwasser 2013, die Überschwemmungen in Kärnten und Slowenien letztes Jahr und jene in Süddeutschland im Juni. Den Anteil der Klimaerhitzung an einem einzelnen Ereignis zu bestimmen, ist unmöglich, doch der Trend ist klar: Wärmere Luft kann mehr Wasser aufnehmen – es regnet stärker.
Es gibt fast nur noch Extremsommer in Europa: Hitze und Dürre oder sehr viel Regen. Die grosse Herausforderung: für Zeiten mit zu viel Wasser zu planen, aber auch für solche mit zu wenig. Eine entscheidende Rolle spielen dabei die Flüsse. Breite, frei fliessende Gewässer schützen nicht nur vor Hochwasser, sie speichern in ihren Auwäldern und Sümpfen auch Kohlenstoff, tragen also zum Klimaschutz bei. Sie beherbergen eine riesige Vielfalt an Pflanzen und Tieren, speisen das Grundwasser, halten Böden feucht und kühlen das Lokalklima.
Aber solche Flüsse brauchen Platz. Und der ist umkämpft. Eines der eindrücklichsten Bilder der letzten Tage zeigt den Wienfluss, sonst ein trauriges Rinnsal zwischen Mauern, jetzt Wassermassen, die die U-Bahn-Schienen der österreichischen Hauptstadt zu überfluten drohen. Wirtschaft und Verkehr brauchen so viel Platz, dass dem Ökosystem keiner mehr bleibt. In den Boomjahren schienen die fossilen Energieträger unerschöpflich, Boden wurde verschwendet. Jetzt, wo der Hochwasserschutz mehr Platz benötigt, aber auch die Biodiversität, nichtfossile Kraftwerke, der Wohnbau, brechen überall Konflikte auf. Irgendwo dazwischen eingezwängt versuchen auch noch ein paar Bäuer:innen, ihre wertvollen Böden zu verteidigen.
Wir brauchen einen völlig anderen Umgang mit Wasser und Raum, eine Planung, die Knappheit einbezieht. Wir brauchen einen viel sorgfältigeren Umgang. Mit allem.
Das Extremwetter trifft auf ein Europa, in dem gerade noch ein anderes Thema die Schlagzeilen bestimmte: Migrationsabwehr. Wer glaubt, die Katastrophe könne rechte Politiker:innen davon überzeugen, ihre Prioritäten hin zur Klimapolitik zu verschieben, täuscht sich. Noch versuchen viele von ihnen, den Klimanotstand zu verharmlosen. Irgendwann wird das kaum noch möglich sein. Ein Grund zur Freude ist das nicht: Eine Rechte, die die Klimaerhitzung ernst nimmt, findet noch viel mehr abwegige Gründe für Migrationsabwehr. Je deutlicher die Auswirkungen auch in Europa werden, desto mehr wird sie darauf pochen, das «Eigene» zu verteidigen und nur die «Einheimischen» zu schützen.
Auch in West- und Zentralafrika gab es in den letzten Wochen heftige Überschwemmungen. Über tausend Menschen starben. Schon in Europa führen die Unwetter zu sozialer Not; viele Häuser sind nicht versichert. Aber es wird einmal mehr deutlich, wie viel brutaler sich Extremwetter im Globalen Süden auswirkt. In Europa werden sich viele verschulden müssen, um wieder ein Zuhause zu haben. In Afrika haben viele alles verloren – alle Ziegen, Schafe und Hühner, die Lebensgrundlage der Familie, seien ertrunken, erzählte eine Frau aus der nigerianischen Stadt Maiduguri der «New York Times».
Die Lebensbedingungen auf diesem Planeten verändern sich gerade radikal. Ohne diese Tatsache mitzudenken, lässt sich keine Politik mehr machen. Jede Umweltpolitik ist zugleich Sozialpolitik, regional wie global. Und umgekehrt: Sozial- und Wirtschaftspolitik sind immer auch Umweltpolitik. Wenn man mit den Ressourcen der Welt umgeht, als wären sie unerschöpflich, verschärft man nicht nur den ökologischen Notstand, sondern auch die brutale Ungleichheit.