Hochwasser: Im Leid vereint

Nr. 38 –

In Polen, der Tschechischen Republik, in Österreich und Rumänien starben mindestens 23 Menschen. Der durch die Fluten verursachte Sachschaden dürfte in die Milliarden gehen – und die Katastrophen werden sich häufen.

Es sind Bilder der Hoffnung zwischen bedrückenden Szenen der Verwüstung: Aus ganz Polen reisen dieser Tage Freiwillige in den Süden und Südwesten des Landes, um ihren Landsleuten zu helfen. «Ich war nicht in der Lage, vor dem Fernseher zu sitzen«, sagt Bartek Waliszewski in einem Fernsehinterview. Der Mann aus der 250 Kilometer nördlich des Katastrophengebiets gelegenen Grossstadt Posen (Poznań) ist mit einigen Bekannten in den Süden gereist. «Wir haben ein bisschen Geld gesammelt, haben 600 Liter Wasser gekauft und kamen hierher.»

Menschen wie ihn gibt es in Polen derzeit viele. Inzwischen wurden landesweit auch etliche Spendenkonten eingerichtet, Freiwillige aus allen Landesteilen helfen, Flussdämme zu sichern. «Im Prinzip könnte man sich darüber beschweren, dass wir als Gesellschaft nur bei grossen Katastrophen zusammenhalten können», schreibt Adam Michnik, Herausgeber der Tageszeitung «Gazeta Wyborcza». «Aber genau das ist die Situation, mit der wir konfrontiert sind.»

Entspannung, aber kein Ende

In Polen ist das Hochwasser bis Mittwoch nicht abgeebbt, sondern hat sich Richtung Westen verschoben, vor allem entlang des Laufs der Oder – des wichtigsten, wenn auch nicht einzigen Flusses mit Rekordpegeln. Inzwischen verschärft sich die Hochwassersituation auch in Ungarn und Deutschland. Doch seit vergangenem Wochenende waren und sind neben Polen vor allem die Tschechische Republik, Rumänien und Österreich dramatisch betroffen. In allen vier Staaten standen weite Gebiete und Orte unter Wasser.

In Niederösterreich, wo es bis Mittwoch mindestens fünf Todesopfer gab und das zum Katastrophengebiet erklärt wurde, rechnete man zur Wochenmitte zwar nur noch mit wenigen Regenfällen, und die Lage entspannte sich bis Mittwoch etwas. Doch in der gebirgigen Region um die Hauptstadt Wien wurden Erdrutsche befürchtet, weil die Überschwemmungen Erdmassen oder gar ganze Berghänge destabilisieren könnten. Im Osten Rumäniens entlang des Flusslaufs der Moldova hat sich die Situation bis zur Wochenmitte ebenfalls etwas entschärft. Dort waren vor allem Häuser und Infrastruktur in kleineren Orten und Dörfern betroffen, mindestens sieben Menschen starben.

In Tschechien gab es bis Mittwoch vier Todesopfer, und die Lage blieb bis zur Wochenmitte in unterschiedlichen Regionen kritisch, sowohl in der Nähe der tschechisch-deutschen Grenze als auch weiter östlich in Ostrava, der drittgrössten Stadt des Landes, die durch einen Dammbruch teilweise unter Wasser stand. Für Südböhmen wurden am Dienstag weitere Regenfälle vorhergesagt. Dort ist der Fischteich Rožmberk, ein wichtiges Wasserreservoir beim Hochwasserschutz, übergelaufen. Der tschechische Präsident, Petr Pavel, sagte am Montag, dass einige der ärmsten Regionen und Gemeinden des Landes mit am stärksten betroffen seien, etwa Frýdlant in Nordböhmen oder Jeseník im Altvatergebirge.

Zdeněk Kužilek, ein Bewohner von Jeseník, sagte im tschechischen Fernsehen: «Die Fluten sind definitiv schlimmer als 1997. Das Wasser stand zwei Meter hoch in den Strassen, Wasserstrudel zerstörten die Häuser.» Die für dieses Wochenende in Tschechien anstehenden Regionalwahlen sollen trotz Bedenken, die einige Bürgermeister:innen betroffener Gemeinden und auch Präsident Pavel äusserten, stattfinden – auch in den Hochwassergebieten.

In Polen gab es bis Mittwoch bereits sieben Todesopfer. Von Beginn des Hochwassers an waren wie in Tschechien auch Soldat:innen der Armee im Einsatz. Die Regierung rief am Montag in grossen Teilen von drei der insgesamt sechzehn polnischen Woiwodschaften den Naturkatastrophenzustand aus, zunächst für dreissig Tage. Dadurch können staatliche Organe etwa die Evakuierung anordnen – tatsächlich jedoch weigerten sich in vielen Orten die Menschen, ihr Heim zurückzulassen, meist aus Angst vor Plünderungen.

In Nysa ordnete der Bürgermeister am Montag dennoch die Evakuierung an. Denn in der Nähe der südpolnischen 45 000-Einwohner:innen-Stadt hatte bereits am Sonntag ein Dammbruch den Fluss Glatzer Neisse, einen Zufluss der Oder, so stark ansteigen lassen, dass das Wasser in der Folge in Richtung Stadtzentrum strömte, auch ein Krankenhaus samt Notaufnahme war betroffen. Am Montag und Dienstag arbeiteten rund 2000 Freiwillige Tag und Nacht gemeinsam mit Feuerwehrleuten und Soldat:innen daran, Dämme abzudichten.

Hart betroffen war auch die 25 000 Einwohner:innen zählende Stadt Kłodzko, deren Innenstadt komplett unter Wasser stand. Viele kleinere Ortschaften waren oder sind komplett von der Aussenwelt abgeschnitten, Bewohner:innen wurden teils mit Militärhubschraubern evakuiert. Apokalyptisch muteten die Bilder aus der Kleinstadt Stronie Śląskie an, nachdem am Sonntag in der Nähe ein Damm gebrochen war. In der Stadt gab es bisher die meisten Todesopfer. Die «Gazeta Wyborcza» übertrieb nur wenig, als sie titelte: «Stronie Śląskie gibt es nicht mehr.»

Doch in Polen richtete sich das grösste Augenmerk zuletzt auf die grösseren Städte der Region: vor allem auf das fast 700 000 Einwohner:innen zählende Breslau (Wrocław). Die Stadt an der Oder war bereits bei der bislang grössten Hochwasserkatastrophe von 1997 stark beschädigt worden – auch die Tschechische Republik, die ostdeutsche Lausitz, die Nordwestslowakei sowie Ostösterreich waren damals betroffen. Die Höchststände in Breslau werden erst zwischen Mittwoch und Freitag erwartet. Dort wie auch in anderen, an der Oder gelegenen Städten und Gemeinden setzen die Menschen die Hoffnung auf das 150 Kilometer südöstlich von Breslau gelegene Rückhaltebecken bei der Stadt Ratibor, es kann 185 Millionen Kubikmeter Wasser aufnehmen. In sozialen Medien gab es Einträge wie: «Reicht das?», «Hält das Becken?».

Investitionen in Vorsorge

Wie hoch die Schäden in den betroffenen Ländern sein werden, lässt sich nicht beziffern. Der nationale Versicherungsverband in Tschechien sprach von 670 Millionen Euro, Polens Premier für sein Land von einer Milliarde Euro. In den vom Hochwasser betroffenen Ländern, vor allem in Tschechien, Polen und Österreich, wurde infolge der Flutkatastrophe von 1997 mehr oder minder stark in verbesserte Schutzmassnahmen investiert. Dämme, Polder und Staubecken wurden modernisiert und ausgebessert oder neu gebaut. Für Tschechien etwa konstatiert Petr Honzejk in der Zeitung «Hospodářské noviny», dass das Warnsystem verbessert worden sei: «Hydrologen, Land, Regionen und Kommunen tauschen Informationen schnell aus, und präzise Informationen erreichen die Bürger ebenso schnell.»

Doch letztlich zeigt auch dieses Hochwasser, dass solche Verbesserungen nicht reichen. «Die Jahrhundertflut fand 1997 statt, und weniger als dreissig Jahre später haben wir schon wieder eine», sagt Zbigniew Karaczun, Professor für Umweltschutz und Gehölzkunde in Warschau (Warszawa) und Experte des Thinktanks Klimakoalition. «Ich befürchte, dass das nächste Hochwasser bereits um die Ecke wartet. Denn das Klima ändert sich nicht linear – ein Anstieg der Temperaturen um 1,5 bis 2 Grad Celsius bedeutet eine riesige Veränderung.»

Eine Binsenweisheit. Und doch wird vor allem in den ehemaligen Ostblockstaaten die menschliche Einwirkung auf das Klima – und damit auf extreme Wetterphänomene – von grossen Teilen der Politik und der Gesellschaft weitaus weniger ernst genommen. Bezeichnend ist da das aktuelle Titelblatt des polnischen Magazins «Do Rzeczy», das als rechtskonservativ und nah an der 2023 abgewählten PiS gilt, die vom Klimawandel wenig wissen wollte: «Die Wissenschaft als Gefangene der Klimapolitik. Wie Forschung manipuliert und gefälscht wird.»

Doch solche Positionen könnten nun zumindest etwas weniger Zuspruch finden. Denn in Polen – wie auch in Tschechien – gab es noch Anfang September eine ausserordentliche Hitzewelle mit teils über dreissig Grad Celsius. Die damit einhergehende Trockenheit sorgte in Tschechien, Polen und Österreich für schlechte Ernteerträge, in Rumänien zerstörte die Dürre in diesem Jahr gar bis zu neunzig Prozent der Erträge. Diese extrem heisse Trockenheit ging fast direkt in die schweren Regenfälle über – und diese wiederum in die Hochwasser.

Angesichts der akuten Lage haben andere europäische Staaten den vom Hochwasser betroffenen Ländern Unterstützung angeboten, vor allem technische Infrastruktur. Auch die EU-Kommission wird helfen. Doch der EU-Solidaritätsfonds, der ein Jahresbudget von 1,2 Milliarden Euro hat, dürfte kaum reichen. Nicht jetzt – und umso weniger in der Zukunft.