Politik der Härte: Vom Auspacken der Peitsche

Nr. 42 –

«Jede Ordnung», sagte Walter Benjamin einst, sei «nichts als ein Schwebezustand überm Abgrund».

Tatsächlich wirken sie abgründig, die tausend kleinen Ordnungstheater, die hierzulande gerade aufgeführt werden: Man soll wieder richtig leiden in der Schule, den Haushalt wieder richtig straffen, Geschlechter wieder richtig einsortieren, auf dem Fussballplatz wieder richtig attackieren (es fehle das Feuer, findet Valon Behrami); man soll Landschaften wieder richtig zubauen, Mieter:innen wieder richtig an die Kandare nehmen, Menschen wieder richtig ausschaffen. Tausend kleine Ordnungstheater, eine pausenlose Darbietung sinnloser Strenge – im Asylwesen, in der Bildungs-, Wohn-, Sozial- und Finanzpolitik.

Da ist die Ausschaffung zweier Afghanen nach Kabul – Motto: «Was Deutschland kann, kann die Schweiz auch». Die Abschiebungen aus dem Nachbarland hätten bei uns «Begehrlichkeiten geweckt», hiess es im «Blick», Stolz schwang mit in den Berichten über diesen Verwaltungsakt zur Aussortierung von Menschen, über die man nichts weiss, ausser dass sie «schwer kriminell» seien, eine «Gefahr für die innere Sicherheit», wie der soeben zum Direktor des Staatssekretariats für Migration ernannte Vincenzo Mascioli sagte. «So schnell wie möglich» sollen ihnen weitere folgen. Ordnung, Härte, Disziplin.

Da ist der von Hobbydressurreiter Thierry Burkart angeführte Feldzug der FDP gegen die integrative Schule: Sonderklassen, Sanktionen gegen «fehlbare» Schüler:innen, Bekämpfung von Teilzeitpensen beim Lehrpersonal und «woken Weltanschauungen». Die SVP galoppiert nun schäumend mit; das Tempo ist hoch, wer schneller bei einer fein säuberlich nach «leistungsschwachen» und «leistungsstarken» Menschen klassifizierten Gesellschaft ankommt, gewinnt.

Verräterisch auch die Ordnungsrufe im Kampf um den Bundeshaushalt: Treppenrowdy Thomas Aeschi sagte gegenüber der NZZ, das Parlament müsse endlich wieder lernen, ­«einigermassen haushälterisch» mit den Mitteln umzugehen. Lasse man das «Hintertürchen» Steuererhöhung offen, würde der ohnehin «bescheidene Sparwille» im Parlament «vollends erlahmen». Ordnung, Wille, Armee.

Nicht zu vergessen die Bemühungen der Hauseigentümer:innen im Parlament, per Initiativen die Mietrechte zu schleifen. Der Slogan des Ja-Komitees «Für mehr Wohnraum» – eine glatte Lüge. Die «erhöhte Transparenz» (in Sachen Untermiete), so die Behauptung, würde sicherstellen, dass nicht «aus der Not der Bevölkerung Kapital geschlagen» werde. So unordentlich die Argumentation, so hierarchiebewusst das eigentliche Anliegen: Mieter:innen sollen rausgeworfen werden können, wann immer es Vermieter:innen beliebt. Ordnung, Kontrolle, Eigentum.

Dabei nutzen die Drillregisseure, das ist vielleicht ihre ideologische Pointe, den Staat für ihre Zwecke: Er soll den direkteren Zugriff auf die Mieter:innen ermöglichen, über Ein- und Ausschluss aus der Gesellschaft befinden, Menschen nach Potenzial sortieren. Er soll Hierarchien schaffen und durchsetzen. Er soll stark sein in Verteidigung und Disziplinierung – und schwach in der Sicherung sozialer Bedürfnisse. Gegen oben liberal, gegen unten autoritär, nach innen paternalistisch, nach aussen abwehrend. Das ist nicht bloss ein Trend, das ist eine andauernde Übung in neoliberaler Staatskunst.

Man kann das vielleicht auch optimistisch sehen: Das Auspacken der Peitsche als Reaktion der Reaktionären auf den doch latent drohenden Kontrollverlust. Auf die tatsächliche Aufweichung von Geschlechternormen, auf die vielen sozialpolitischen Niederlagen allein in diesem Jahr (mit einem Nein zur Gesundheitsvorlage Efas, die zu noch höheren Prämien führen dürfte, wären es vier). Man kann es als Hinweis sehen auf die Angst vor der Disziplinlosigkeit, den Rissen in den eigenen Reihen. Man kann es auch als Erinnerung nehmen: an die Bedeutsamkeit der Unordnung, an die Möglichkeiten im Schwebezustand.

Die rechten Kräfte erweitern ihren Radius, aber sie vergrössern damit auch die Angriffsfläche: Wo Pferde dressiert werden, kann man auch welche stehlen.