Autobahnausbau: Das Nein der Frauen
«Ich habe gemeint, Sie verträten die Romandie, aber das ist offensichtlich nicht der Fall.» So schnoddrig kanzelte der Berner FDP-Hardliner Christian Wasserfallen seine grüne Genfer Nationalratskollegin Isabelle Pasquier-Eichenberger ab. Das war in der Herbstsession vor einem Jahr, noch vor den Wahlen, die das Parlament nach rechts verschoben. Pasquier hatte nachgefragt, welche Westschweizer:innen es denn seien, die den Ausbau der A1 zwischen Genf und Nyon so dringend wollten. Ein Jahr später zeigt das klare welsche Nein zum Autobahnausbau: Isabelle Pasquier vertritt die Romandie sehr wohl.
Noch exponierter war ihre Genfer Parteikollegin Lisa Mazzone im Ständerat. Dort gab es im Herbst 2023 nur 6 Nein-Stimmen zum Autobahnausbau – neben 5 (links-grünen!) Enthaltungen und 33 Ja-Stimmen. Dann kamen die Wahlen, Mazzone verlor ihren Sitz, die grüne Welle schien Geschichte. Bundesrat Albert Rösti und die Mehrheit des Parlaments betreiben seither eine aggressive Antiumweltpolitik.
Nach der Sensation vom Sonntag stehen Mazzone und Pasquier als Siegerinnen da – und mit ihnen eine Reihe linker Politikerinnen wie Marionna Schlatter, Franziska Ryser, Florence Brenzikofer, Aline Trede, Christine Badertscher und Mattea Meyer. Am Abstimmungsfest des Nein-Komitees in Bern standen fast nur Frauen am Mikrofon. Sie sind es ja auch, die diese Abstimmung gewonnen haben: 61 Prozent der Frauen, die an die Urne gingen, aber nur 44 Prozent der Männer stimmten gegen den Autobahnausbau. Seit Jahrzehnten politisieren Frauen ökologischer. Schon bei der Rothenthurm-Initiative für den Moorschutz 1987, einem anderen grossen umweltpolitischen Erfolg, war der Geschlechtergraben gross, genauso wie dieses Jahr bei der Biodiversitätsinitiative. Nicht zu vergessen: Es waren reine Männergremien, die das Autobahnnetz einst planten – zu einer Zeit, als Frauen noch nicht einmal abstimmen durften.
Ermöglicht hat das Nein am Sonntag das Engagement von Umverkehr, VCS und den lokalen Komitees. Auch dass die Grünen die Nähe zur Basis suchen, hat sich ausgezahlt. Es ist ein Engagement, das die Bindung der Menschen an ihre Umgebung ernst nimmt. Schon die Autobahn quer durch Biel wurde 2020 verhindert, weil die Bieler:innen verstanden, dass die Lebensqualität in ihrer Stadt gefährdet war. Diesen Sonntag geschah dasselbe in St. Gallen, Basel und Schaffhausen.
Auch die Raumfrage ist mit Geschlechterfragen verknüpft: Beruflich und privat verbringen Frauen viel mehr Zeit mit Menschen, die einen eingeschränkten Radius haben. Für alle, die einen Kinderwagen oder Rollstuhl schieben, macht es einen grossen Unterschied, ob sie das in schöner Umgebung mit angenehmen Geräuschen und sauberer Luft tun können – oder neben einer Autobahn. Wer Kinder oder alte Menschen über eine Strasse begleitet, weiss, dass das Auto jederzeit eine tödliche Waffe sein kann. Es sind meist Männer, die andere an- oder totfahren – und oft trifft es Frauen auf Zebrastreifen.
Es gibt verschiedene Gründe für das Nein, und nicht alle sind ökologisch und solidarisch. Doch das Resultat verschiebt die Gewichte in die richtige Richtung. Und es ist durchaus sinnvoll, dieses Nein in einen grösseren Zusammenhang zu stellen; wie auch die linke Wahl in der Stadt Bern und das Ja zum Genderstern in Zürich. Das alles ist auch eine Antwort auf die Wahl von Donald Trump und die aggressive Frauen- und Queerfeindlichkeit von rechts, die fast immer verbunden ist mit einem Fetischismus für grosse Maschinen und einer demonstrativen «Scheiss drauf»-Haltung zum Umweltschutz. Eine Antwort auf die Rücksichtslosigkeit reicher rechter Männer, die glauben, über Zeit und Raum – sogar den Weltraum – zu verfügen. Gerade sie mit ihrem exzessiven Konsum sind besonders abhängig von Frauen und marginalisierten Menschen, die für sie arbeiten, und von nichtmenschlichen Lebewesen und ihren Ökosystemleistungen. Doch sie können diese Abhängigkeit nur leugnen – die Kränkung ist zu gross.