Gewalt gegen Frauen: Wessen Sicherheit?

Nr. 48 –

Die Armee mit Milliarden alimentieren und bei der Gewaltprävention sparen? Mit einem Vorstoss gehen die SP-Frauen gegen den Zynismus der bürgerlichen Sicherheitspolitik vor.

eine Frau mit einem Würfel auf dem Kopf mit dem Text «STOP FEMIZID»
Alle zwei Wochen wird in der Schweiz eine Frau ermordet. Nationale Demo gegen Gewalt an Frauen letzten Samstag in Bern. Foto: Peter Klaunzer, Keystone

Rund 10 000 Personen demonstrierten laut Organisator:innen am vergangenen Samstag in Bern gegen patriarchale Gewalt. Sie machten ihrer Wut über Femizide und die Alltäglichkeit von geschlechtsspezifischer Gewalt Luft. Frauen fallen in der Schweiz vier Mal öfter einem Tötungsdelikt zum Opfer als Männer. 2023 kam es im Schnitt alle zwei Wochen zu einem Femizid. Über 11 000 Gewalttaten im häuslichen Kontext wurden registriert; drei Viertel der Opfer waren Frauen und Mädchen.

Auch Nationalrätin Tamara Funiciello (SP) war am Samstag auf der Strasse, und sie hat eine konkrete Forderung: Für jeden Franken, der in die Armee fliesst, sollen fünf Rappen in den Kampf gegen sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt fliessen. Das wollen die SP-Frauen in der Budgetdebatte der nächste Woche beginnenden Wintersession fordern. Der Vorstoss wird kaum eine reale Chance haben, doch er soll eine Debatte anstossen. «Die Schweiz war seit 1848 an keinem einzigen Krieg beteiligt», sagt Funiciello. «Es werden jedoch noch immer viel zu viele Frauen Opfer von Gewalt.»

Sozialausgaben unter Druck

Die Frage, die Funiciello mit ihrem Vorstoss aufwirft, lautet: Für wessen Sicherheit sorgt das Parlament mit seiner Sicherheitspolitik tatsächlich? Bereits in der vergangenen Herbstsession hat eine Mehrheit aus SVP, FDP und Mitte-Partei beschlossen, dass das Armeebudget in den kommenden Jahren auf ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts erhöht werden soll. Wegen der horrenden Ausgaben für die Armee – für die Jahre 2025 bis 2028 sieht das Parlament eine Aufstockung des Zahlungsrahmens um vier Milliarden Franken vor – gerät insbesondere der Sozialbereich immer weiter unter Druck.

Die Verteilkämpfe werden einerseits über die Budgetdebatte ausgefochten: Die Finanzkommissionen beider Kammern überbieten sich derzeit mit Sparvorschlägen. Andererseits steht FDP-Finanzministerin Karin Keller-Sutter mit ihrem auf dem Bericht einer sogenannten Expertengruppe basierenden Sparpaket in den Startlöchern (vgl. «Diszipliniert euch doch selbst!»). Der Bericht, der bei den Bundesfinanzen insgesamt ein Sparpotenzial von 4,5 Milliarden Franken ausweist, ortet ein solches auch bei den Massnahmen gegen geschlechtsspezifische Gewalt. Konkret sollen beim Opferschutz 300 000 Franken eingespart werden, mit denen der Bund heute die Ausbildung von Fachleuten unterstützt.

Dabei sind sich Expertinnen einig: Gerade beim Opferschutz brauche es dringend mehr Ressourcen.

Der Bund ist zwar, was die Verbesserung des Schutzes von Frauen anbelangt, nicht untätig: SP-Sozialministerin Elisabeth Baume-Schneider hat am Montag Massnahmen präsentiert, mit denen die Schweiz ihren Verpflichtungen nachkommen will, die sich aus der Istanbul-Konvention zur Verhütung von Gewalt an Frauen ergeben. Diese hatte die Schweiz 2017 ratifiziert. Baume-Schneider hat etwa eine nationale Präventionskampagne sowie die Einführung einer nationalen Notfallnummer angekündigt.

Fehlende Schutzplätze

Doch der Prozess zur Umsetzung der Konvention wird von Kritik begleitet: Für seine Kampagne stellt der Bund lediglich eineinhalb Millionen Franken zur Verfügung. Gian Beeli vom Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann sagt: «Unsere Aufgabe ist es, mit den zur Verfügung stehenden Mitteln eine wirkungsvolle Kampagne umzusetzen.»

Elisabeth Gutjahr, Professorin an der Fachhochschule Westschweiz, hat an einer kürzlich fertiggestellten Studie über Schutz- und Notunterkünfte zuhanden der Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren (SODK) mitgearbeitet. Sie konstatiert: Das Angebot an Plätzen in Schutzunterkünften sei ungenügend, ebenso fehle es an Anschlusslösungen. Zwar liegt die Auslastung von Frauenhäusern bei durchschnittlich 76 Prozent, einen Prozentpunkt höher, als die SODK empfiehlt. Doch ebenso wichtig wie die Belegungsziffer sei die Zahl der Wegweisungen. Und diese zeige, dass das Angebot nicht immer mit der Nachfrage übereinstimme: «Es kann etwa vorkommen, dass kein Platz für eine Frau mit mehreren Kindern frei ist, wohl aber ein Platz für eine alleinstehende Frau», sagt Gutjahr. «Die Familie wird dann ab- oder weiterverwiesen, und der frei gebliebene Platz erscheint in der Statistik als nicht belegt, obschon eine Nachfrage vorhanden wäre.»

Die Studie zeigt, dass es überdies an spezialisierten Plätzen für Frauen mit gesundheitlichen oder psychischen Problemen oder einer Suchtproblematik mangelt. Ungenügend sei zudem die Versorgungslage bei jungen Mädchen, «da gibt es schweizweit nur ganz wenige Plätze».

Besonderen Handlungsbedarf sehen die Autor:innen zudem bei migrantischen Frauen. «Ihnen fehlt oft das Wissen darüber, welche Angebote es zu welchen Bedingungen gibt. Da bräuchte es ganz gezielte Informationskampagnen», schreiben sie. Illegalisierte Frauen hätten wiederum nur beschränkt Anrecht auf einen Schutzaufenthalt. «Es bräuchte eine Harmonisierung bei der Frage, wann eine betroffene Frau einen Härtefall geltend machen kann.»

Für die Finanzierung der Unterbringungsstrukturen sind grundsätzlich die Kantone verantwortlich. Doch der Bund könnte Impulse für die Schaffung von spezifischen Angeboten und mit Kampagnen setzen. «Das müsste man einfach wollen», sagt Funiciello.