Polizeiskandal: Das zähe Bündner Geflecht
Die Machenschaften rund um das Bündner Baukartell wurden nie sauber aufgearbeitet. Das zeigen Recherchen der WOZ. Im Zentrum neuer Vorwürfe: SP-Regierungsrat Peyer und die Kantonspolizei.

Es ist die Geschichte, die Graubünden einfach nicht abschütteln kann: Noch immer hält der Fall rund um das Bündner Baukartell, den Whistleblower Adam Quadroni und zweifelhafte Einsätze der Kantonspolizei Öffentlichkeit und Justiz auf Trab. Dabei erklärt die Bündner Politik die Affäre seit Jahren für beendet. Gerade auch wieder gegenüber der WOZ: «Die Aufarbeitung der Vorfälle rund um das Baukartell ist abgeschlossen», schreibt das Departement für Justiz, Sicherheit und Gesundheit knapp, Antworten auf die gestellten Fragen gibt es keine. Doch wie fest die Politik auch den Deckel zudrücken will: Es dringen immer wieder alarmierende Neuigkeiten nach draussen.
Nun sind bald dreizehn Jahre vergangen, seit sich der Engadiner Bauunternehmer Adam Quadroni an die Wettbewerbskommission (Weko) gewandt und dort von den systematischen Preisabsprachen im Engadiner Baugewerbe berichtet hat. Quadroni sprengte mit seinen Aussagen das grösste Baukartell der Schweiz: Jahrelang hatten lokale Unternehmer die kantonalen Bauaufträge, etwa im Strassenbau, zu überhöhten Preisen unter sich aufgeteilt. Es ging um ein Auftragsvolumen von weit mehr als 100 Millionen Franken. Die Weko verhängte später Bussen über 7,5 Millionen Franken.
Entschädigt wurde Quadroni für seinen Einsatz nie. Dabei war der Preis, den der Whistleblower zu zahlen hatte, hoch: Während die Untersuchung der Weko lief, ging Quadronis Firma pleite, seine Familie brach auseinander. In der Folge kam es auch zu mehreren gewaltvollen Polizeieinsätzen gegen ihn. Besonders umstritten ist dabei ein Einsatz von Mitte Juni 2017, bei dem Quadroni von einer Spezialeinheit abgeholt und gegen seinen Willen in die Psychiatrie verfrachtet wurde.
Zeugen nicht aufgeboten
Die Ereignisse von damals wirken bis heute nach. So berichtete der «SonntagsBlick» vor ein paar Tagen von einer neuen Anklage gegen den mittlerweile pensionierten Polizeipostenchef aus Scuol, dem im Zusammenhang mit den Einsätzen gegen Quadroni Freiheitsberaubung und Amtsmissbrauch vorgeworfen werden. Dieser wiederum hat Quadroni wegen Drohung angezeigt. Es geht vor allem um den Einsatz vom Juni 2017. Anlass war die vermutete Gefahr eines Suizids oder eines erweiterten Suizids. Die Befürchtungen erwiesen sich später als grundlos.
Besonders bemerkenswert: Die angeblich fixfertig abgeschlossene Aufarbeitung scheint erhebliche Lücken zu haben. Zwar setzte der Kantonsrat 2018 eine Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) ein, die mit enormem Aufwand einen Bericht von über 200 Seiten erstellte. Darin wird unter anderem die mangelhafte Kooperationsbereitschaft der Polizei kritisiert. Nun zeigt sich aber, dass die Polizeileitung sogar aktiv versuchte, Dinge zu vertuschen. So schreibt der «SonntagsBlick» von einem Polizisten, der ein wichtiger Zeuge hätte sein können, vom Kommando aber bewusst nicht für eine Aussage bei der PUK aufgeboten worden sein soll. Der Polizist war als Verhandlungsführer bei einem der Einsätze dabei. Er wäre prädestiniert gewesen, eine Deeskalation herbeizuführen – wurde dann aber plötzlich nach Hause geschickt.
Die WOZ weiss zudem von einem weiteren Engadiner Polizisten, der vom Kommando sogar aktiv daran gehindert worden war, vor der PUK auszusagen. Der Mann war beim Einsatz des Sonderkommandos vor Ort – doch als er sich für die PUK melden wollte, habe ihm sein Vorgesetzter eine Absage erteilt: Die Polizeileitung halte seine Informationen für zu wenig relevant. Der Polizist will aus Angst vor Repressalien anonym bleiben. Er sagt: «Die Leitung wollte nicht, dass ich eine Aussage mache, weil bekannt war, dass ich sage, was ich denke.»
Ein zweifelhaftes Doppelmandat
Letztlich sagte nur ein einziger Polizist – nennen wir ihn Marco Bauer – als Zeuge vor der PUK aus, weil er sich direkt beim Sekretariat der Kommission gemeldet hatte, statt wie seine Arbeitskollegen übers Kommando zu gehen. Als die Polizeileitung von seiner Absicht, auszusagen, erfuhr, stellte sie ihm ungefragt den bekannten Rechtsanwalt und früheren Gerichtspräsidenten Michael Fleischhauer zur Seite. Bauer sagt heute, er habe sich über dessen Gebaren gewundert: «Nachdem ich die Vollmacht unterzeichnet hatte, legte mir Fleischhauer nahe, keine Aussagen zu machen und vor der Einvernahme eine Erklärung abzugeben, dass ich mich voreilig für eine Befragung gemeldet hätte und mich an nichts mehr erinnern könne.»
Bauer sagte dennoch aus. Später erfuhr er, dass Fleischhauer nicht nur ihn vertrat, sondern auch den heute angeklagten Polizeipostenchef sowie mehrere Polizeigrenadiere und Kaderleute anwaltlich begleitete, darunter den Bündner Polizeikommandanten Walter Schlegel. Ein Anwalt, der sowohl Beschuldigte wie auch einen Zeugen vertritt – selbst im verfilzten Graubünden eine Kuriosität.
Doch Fleischhauer sieht kein Problem in seinem Doppelmandat und bestreitet die Vorwürfe Bauers. Er sagt: «Die Behauptung, dass ich den Polizisten gedrängt haben soll, nicht vor der PUK auszusagen, ist krass wahrheitswidrig.» Bauer habe mit der Unterzeichnung der Vollmacht akzeptiert, dass Fleischhauer ihn vertrete – er hätte auch einen anderen Anwalt beiziehen können.
Schlegels Posten hält
Dennoch: Der offensichtliche Interessenkonflikt fiel irgendwann auch den fünf Mitgliedern der PUK auf. Kurz vor dem Publikationstermin des Teilberichts zu den Polizeieinsätzen im November 2019 trafen sie sich im Churer Hotel ABC mit dem für die Polizei verantwortlichen Regierungsrat Peter Peyer (SP) und beschwerten sich über Fleischhauer und das Manöver der Polizeiführung. Wie Peyer darauf reagierte, bleibt unklar. Im Untersuchungsbericht fand die Beschwerde jedenfalls keinen Niederschlag. PUK-Präsident Michael Pfäffli (FDP) will sich wegen einer Schweigevereinbarung nicht äussern. Peyer lässt ausrichten: «Zu Sitzungsinterna nehmen wir keine Stellung.»
Die Kritik an Kommandant Schlegel, unter dessen Oberaufsicht die Einsätze liefen, klingt im Bericht durchaus an: Es sei der Eindruck entstanden, «dass dem Kommandanten eine aktive Unterstützung der Untersuchung widerstrebte». Zu den drei untersuchten Polizeieinsätzen stellte die PUK fest, es sei zu «unrechtmässigen beziehungsweise teilweise unverhältnismässigen Eingriffen in die persönliche Freiheit Adam Quadronis» gekommen. Das alles ist Jahre her – und doch bis heute aktuell.
Für Walter Schlegel hatte die ganze Affäre keinerlei Konsequenzen, er geniesst bis heute das Vertrauen von SP-Mann Peyer. Aber auch ohne diesen hat er starke Rückendeckung: Schlegel ist aktiver Politiker der SVP, kandidierte 2018 vergeblich für den Graubündner Regierungsrat. Für den Zeugen Marco Bauer ging die Sache weniger gut aus. Er wurde von der Kantonspolizei vor zwei Jahren fristlos entlassen. Später wurde die Kündigung zwar als missbräuchlich bewertet und Bauer eine hohe Entschädigung zugestanden, doch Job und Ansehen war er los.
«Kein zweiter Quadroni»
In Graubünden haben es Aufklärer:innen schwer, die Verflechtungen zwischen Justiz, Politik und Bauwirtschaft sind zäh. Politische Verantwortung für das Behördenversagen hat bis heute niemand übernommen. Und das längst nicht nur im bürgerlichen Establishment, wie die schwache Rolle von Peter Peyer zeigt. Über diesen ist viel Kritik zu hören, aber immer nur hinter vorgehaltener Hand. Wer die Regierung im Zusammenhang mit den Skandalen rund ums Baukartell kritisiert, riskiert, Persona non grata zu werden. «Es ist viel Unrecht geschehen, aber ich will kein zweiter Quadroni werden», sagt etwa ein guter Kenner der Politszene in Chur. Es klingt fast unwirklich schrill.
Dem ersten und bisher einzigen Quadroni geht es derweil nicht besonders gut, er ist finanziell ruiniert. Im Kantonsparlament forderte der Grünliberale Walter von Ballmoos die Regierung diese Woche auf, die Frage einer Entschädigung für Quadroni endlich zu klären. Parallel verlangt eine Petition eine Entschädigung in Millionenhöhe. Unterschrieben haben sie über 3000 Personen, darunter Bündner Persönlichkeiten, die hoffen, ihr Name unter der Petition werde von der Regierung als Signal verstanden.
So grob man im Kanton gegen Aufmüpfige vorgeht, so einfühlsam ist man gegenüber den Mächtigen. Vielleicht muss sich erst daran etwas ändern, bis Graubünden den Skandal ums Baukartell und die unvollständige Aufarbeitung hinter sich lassen kann.