Durch den Monat mit Dimitri Grünig (Teil 4): Haben Sie Angst, dass Ihnen KI den Job wegnimmt?

Nr. 5 –

Schon vor dem 16. Geburtstag ist Dimitri Grünig ausgezogen, um in Basel Vergolder-Einrahmer zu lernen. Er kommt aus einem Büezerhaushalt und geniesst es, mit den Händen zu arbeiten.

Dimitri Grünig in seinem Atelier
«Wenn künstliche Intelligenz genutzt wird, um eine bereits existierende Ästhetik zu imitieren, finde ich das Ergebnis recht langweilig»: Dimitri Grünig in seinem Atelier.   

WOZ: Dimitri Grünig, Sie haben letzte Woche von den Schwierigkeiten erzählt, als Jugendlicher mit Ihrer sexuellen Orientierung klarzukommen. Wie ging es dann weiter mit Ihrem Coming-out?

Dimitri Grünig: Irgendwann habe ich es meiner Mutter erzählt. Während sie mich ans Greenfield-Festival brachte, das war in meiner Metal-Phase. Sie hat super reagiert. Rückblickend merke ich immer mehr, wie wichtig sie für mich war. Meinem Vater sagte ich es erst deutlich später. Ich habe heute ein tolles Verhältnis zu ihm, aber damals war es nicht ganz einfach. Für mich war es schwieriger, mit ihm zu reden, und er brauchte auch länger, bis er es akzeptieren konnte.

WOZ: Entschuldigung, ich weiss gar nicht, sind Sie bisexuell oder schwul?

Dimitri Grünig: Wenn ich mir ein Label geben müsste, würde ich mich wohl als pansexuell beschreiben – das Geschlecht oder die Geschlechtsidentität ist für mich nicht so wichtig, wenn ich mich verliebe. Aber ich fand Labels immer doof. Ich weiss, dass sie wichtig sein können, wenn es darum geht, sichtbar zu sein, als Teil eines Emanzipationsprozesses. Aber meine persönliche Utopie wäre, dass es sie nicht mehr braucht. Dass wir einander einfach als Menschen begegnen können. Mir ist allerdings sehr bewusst, dass wir als Gesellschaft nicht dort sind. Und dass ich aus einer sehr privilegierten Perspektive spreche – als Person, die in vielerlei Hinsicht weniger diskriminiert ist als andere.

WOZ: Sie sind sehr früh zu Hause ausgezogen. Wollten Sie dringend weg aus dem Berner Oberland?

Dimitri Grünig: Nein. Ich wollte unbedingt Vergolder-Einrahmer lernen. Meine Mutter hatte einen Bekannten in Thun, dort konnte ich ins Atelier reinschauen. Die Fächer in der Berufsschule wie Architektur und Stilkunde fand ich mega spannend. Und dann war die erste freie Lehrstelle halt in Basel.

WOZ: Eine gute Erfahrung?

Dimitri Grünig: Super, aber auch intensiv – sehr lehrreich. Ich war knapp sechzehn, wohnte allein in einer winzigen Mansarde – und hatte zwei neue Mütter, meine beiden Chefinnen. Sie haben neben der handwerklichen Ausbildung auch sonst sehr gut für mich gesorgt. Ich fühlte mich sehr aufgehoben, musste aber auch lernen, allein zu sein, da ich sonst in Basel kaum Menschen kannte.

WOZ: Arbeiten Sie heute viel allein?

Dimitri Grünig: Ja. Aber ich nutze das Zeichnen auch als Möglichkeit, rauszugehen, mit Leuten zu reden, etwas über die Welt herauszufinden. Ich habe lange in der Berner Metzgerei La Boulotte gearbeitet, die von Biobauern­söhnen gegründet wurde, um das Fleisch vom Hof der Familie zu verkaufen. Für sie durfte ich einmal ein Kuhbild malen, eine klassische Metzgerillustration. Ich merkte, ich habe eigentlich gar keine Ahnung, wie eine Kuh aussieht. Also ging ich halt drei Tage auf den Bauernhof, um die Tiere zu zeichnen, zu verstehen.

WOZ: Laut Ihrer Website hatten Sie schon viele handfeste Jobs: auch auf dem Bauernhof oder als Möbelpacker.

Dimitri Grünig: Ich bin damit aufgewachsen. Mein Vater ist ehemaliger Eisenleger, heute arbeitet er im Aussendienst im Bereich Lacke und Farben – ein Mensch, der unendlich Energie hat. Er kann nicht nichts tun. Auch ein sehr schöpferischer, schaffender Mensch – er baut etwa kleine Welten in Sardinenbüchsen hinein. Raffinierte, liebevolle kleine Sachen, winzige Möbel, Unterseewelten aus Epoxidharz. Er hat mir erzählt, er mache das in der Mittagspause, da sei ihm langweilig. Er isst immer Brot und Sardinen zum Zmittag.

Dimitri Grünig: Meine Mutter war Fotofachangestellte, später eine Zeit lang stellvertretende Produktionsleiterin beim «Thuner Tagblatt». Wir waren schon ein Büezerhaushalt. Ich war früh mit Bohrmaschinen und Stichsägen konfrontiert, weil mein Père an einem Sonntagmittag fand, er mache jetzt eine neue Zimmerdecke rauf und ich müsse helfen. Er hat mir später, als ich studierte, auch Jobs vermittelt, das fand ich immer super. Manchmal vermisse ich das.

WOZ: Sie arbeiten als Illustrator sehr analog. Haben Sie Angst, dass Ihnen KI den Job wegnimmt?

Dimitri Grünig: Null. Ich weiss, dass andere Bereiche davon betroffen sind, etwa Werbung oder auch Illustrationen für Magazine. Aber ich habe das Glück, dass mich diese Bereiche weniger interessieren. Wenn künstliche Intelligenz genutzt wird, um eine bereits existierende Ästhetik zu imitieren, finde ich das Ergebnis recht langweilig. Ich hoffe, wir verstehen mit der Zeit, wofür KI gut ist und wofür nicht. Damit wir sie als Tool benutzen können – wie einen Pinsel, eine Stichsäge oder einen Bleistift.

WOZ: Sie sind also überzeugt, dass es weiterhin ein Bedürfnis nach menschengemachter Kunst geben wird?

Dimitri Grünig: Ja, vielleicht sogar noch stärker als heute. Ich glaube nicht, dass KI in der Kunst, im Comic oder in der Reportage Menschen ersetzen wird. Oder dass sie eine Bleistiftzeichnung machen kann, die die Aura einer handgemachten hat. Die Branche wird sich schon wandeln, aber ich habe Vertrauen, dass neue Nischen entstehen.

Dimitri Grünig (29) ist Zeichner in Bern. Sein Buch «Aber schwul bin ich immer noch» ist 2024 in der Edition Clandestin erschienen.