Durch den Monat mit Jenny Cara (Teil 4): Wie ist das Auflegen mit ADHS?
Lange Nächte, laute Musik, Drogen: Die Arbeit im Nachtleben ist nicht per se gesundheitsfördernd. Wie DJ Jenny Cara damit umgeht und welche Herausforderungen ihre Neurodivergenz mit sich bringt.

WOZ: Jenny Cara, wann gehen Sie am Wochenende normalerweise schlafen?
Jenny Cara: Das kommt ganz darauf an, wann ich spiele. Wenn ich vor 4 Uhr anfange, bleibe ich einfach wach. Bei allem, was später ist, versuche ich, vorher schon etwas zu schlafen oder zu dösen. Ist meine Playtime um 5 Uhr, stehe ich um 3 Uhr auf. In solchen Fällen reise ich am Morgen nach dem Set wieder ab und gehe erst am Abend wieder ins Bett.
WOZ: Das jede Woche zu tun, klingt anstrengend …
Jenny Cara: Es ist extrem anstrengend! Eigentlich bin ich ein totaler Morgenmensch. Darum liebe ich es, an Festivals zu spielen, da findet meist alles früher statt. Es war ein langer Prozess, herauszufinden, was für mich am besten funktioniert.
WOZ: Finden Sie dann unter der Woche wieder in einen anderen Rhythmus?
Jenny Cara: Ja, meistens klappt das ganz gut. Am Montag mache ich immer frei, dann kann es auch mal passieren, dass ich bis um 9 Uhr schlafe. Sonst erwache ich oft schon um 7.
WOZ: Um die ganze Nacht durchzuhalten, greifen nicht nur Clubgänger:innen, sondern auch DJs mitunter zu Drogen – und spätestens seit den Neunzigern sind Raves und Drogen sowieso eng verbunden. Sie haben im zweiten Teil dieses Monatsgesprächs erzählt, dass Sie nicht mehr trinken. Wie halten Sie es mit anderen Substanzen?
Jenny Cara: Es gab eine Zeit, in der ich definitiv zu viel konsumierte. Es war auch ein Weg, mit meiner Neurodivergenz umzugehen. Mich damit auseinanderzusetzen, wieso ich in gewissen Situationen exzessiv trinke und Drogen konsumiere, war viel Arbeit.
WOZ: Sie haben vor etwa einem Jahr Ihre ADHS-Diagnose in den sozialen Medien publik gemacht. Wieso haben Sie sich dazu entschieden?
Jenny Cara: Weil ich gemerkt habe, dass ich gewisse Bedürfnisse habe und das Gefühl hatte, dass diese nicht verstanden werden. Oder ich traute mich nicht, sie zu äussern – das finde ich manchmal immer noch schwierig. Klassische weibliche Sozialisierung. Lustig, man könnte sagen, das Patriarchat hat mich dazu gebracht. Jedenfalls dachte ich, wenn ich diese Bedürfnisse mit meiner Diagnose begründe, werden sie vielleicht ernster genommen. Damit an die Öffentlichkeit zu gehen, drückt auch aus, nett zu mir selbst zu sein. Oder zumindest netter.
Viele Musiker:innen haben einen sogenannten Rider, in dem steht, was für Technik sie vor Ort benötigen, aber auch, was es im Backstage haben muss, damit sie sich wohlfühlen – bei Popstars gerne auch Extravagantes. Sie haben einen ADHS-Rider erstellt. Was steht da drin?
Jenny Cara: Nichts Krasses. Etwa, dass es irgendwo einen Ort gibt, an dem es ruhig ist. Oder dass ich an der Tür abgeholt werde, wenn ich in einen Club komme, den ich noch nicht kenne. Für mich ist wichtig, dass Dinge klar geregelt sind und eingehalten werden. Wenn ich merke, dass die Veranstalter:innen den Rider im Voraus gelesen haben, habe ich schon ein sehr gutes Gefühl – auch wenn nicht auf alle meine Bedürfnisse eingegangen werden kann.
WOZ: Wie waren die Reaktionen auf den Rider?
Jenny Cara: Megagut. Ich war richtig erstaunt darüber, wie gross der Zuspruch aus der Szene war. Manche haben sich bei mir bedankt und meinten, sie wären nie selbst darauf gekommen.
WOZ: Die Clubs reagieren auch gut?
Jenny Cara: Die, die sich damit auseinandersetzen, schon, ja. Aber es lesen ihn nicht alle. Wenn es im Backstage nur literweise Alkohol gibt, finde ich jeweils schon so: «Yo!» – mein Rider ist wirklich easy.
WOZ: Nehmen Sie zum Auflegen ADHS-Medikamente?
Jenny Cara: Ja, eine tiefe Dosis. Ich passe sie immer an, je nachdem, wie meine Wochen aussehen und wo und wann ich auflege.
WOZ: Was ist anders, wenn Sie unter Einfluss von Medikamenten spielen?
Jenny Cara: Ich höre die Stimmen auf dem Dancefloor nicht mehr!
WOZ: Wie meinen Sie das?
Jenny Cara: Ich höre sonst immer alles, und alles ist gleich laut. Als ich noch überlegte, wie ich mit dem ADHS als DJ umgehen soll, spielte ich in London und hörte mit, wie ein Pärchen auf dem Dancefloor über das Abendessen sprach. Mit Medis kann ich so was besser ausblenden.
WOZ: Jüngst stieg sowohl die Zahl der ADHS-Abklärungen als auch jene der Diagnosen stark an. Gleichzeitig scheint der Grat zwischen Anerkennung und Glorifizierung schmal zu sein …
Jenny Cara: Ich weiss, was Sie meinen: Manchmal scheint es fast wie ein Klub, zu dem man gehört, sobald man die Diagnose hat.
WOZ: Genau.
Jenny Cara: Für mich zeigt die steigende Zahl der Diagnosen in erster Linie, dass unser System für viele Menschen eigentlich nicht funktioniert. Gleichzeitig nerven mich die Leute extrem, die versuchen, das als Trend abzustempeln. Die haben keine Ahnung, was für Probleme ich wegen des ADHS hatte und wie viel ich deswegen durchmachen musste. Ich habe das Gefühl, dahinter steckt zum Teil auch Angst. Angst davor, bei sich selbst hinschauen zu müssen, und Angst davor, dass Dinge sich ändern.
Was es laut Jenny Caras (33) Rider sonst so haben sollte im Backstage: alkoholfreies Bier, Wasser, Eiswürfel, Zitronensaft, ein Handtuch.