Radio und Fernsehen: Die Chronik der Halbierung

Nr. 7 –

Die Zukunft der SRG entscheidet sich nicht in Leutschenbach, sondern im Bundeshaus: Nächste Woche befindet die zuständige Ständeratskommission über einen drastischen Gegenvorschlag zur SVP-«Halbierungsinitiative».

das «Tagesschau»-Studio
Die rechtsbürgerlichen Angriffe, die gütige Mithilfe des Bundesrats und der vorauseilende Gehorsam der SRG: Wie steht es künftig um das «Tagesschau»-Studio? Foto: Florian Bachmann

Der Brief, den die Mitglieder der ständerätlichen Fernmeldekommission Mitte Januar erhielten, liess an Deutlichkeit nicht zu wünschen übrig. SRG-Verwaltungsratspräsident Jean-Michel Cina und Generaldirektorin Susanne Wille warnten im siebenseitigen Schreiben, das der WOZ vorliegt, vor «drastischen Auswirkungen» und «massiven finanziellen Problemen», sollte sich der Gegenvorschlag zur «Halbierungsinitiative» im Parlament durchsetzen.

Angesichts der jüngsten Sparbeschlüsse beim Schweizer Radio und Fernsehen ist das Geschäft, über das die Kommission am kommenden Montag befindet, von besonderer Brisanz. Die Einstellung der Fernsehsendung «Gesichter und Geschichten» oder des Radiopodcasts «Wissenschaftsmagazin» hat letzte Woche Wellen geschlagen. Journalist:innen, die sich öffentlich dagegen aussprachen, wurden von der SRF-Chefetage zensiert. Doch all das ist nur ein Vorgeschmack darauf, was an Kürzungen bei den öffentlich-rechtlichen Medien zu erwarten steht. Bei den aktuellen Einsparungen geht es «lediglich» um acht Millionen Franken. Gemäss der vom Bundesrat bereits beschlossenen Antwort auf die «Halbierungsinitiative» drohen der SRG Kürzungen von insgesamt 270 Millionen. Sollte zusätzlich der Gegenvorschlag im Parlament durchkommen, könnten Einsparungen von bis zu 450 Millionen drohen, warnen Cina und Wille in ihrem Brief.

Bloss: Wer hat überhaupt noch den Überblick über die Sparprogramme bei Radio und Fernsehen? Hier ist der Versuch einer Chronologie der rechtsbürgerlichen Angriffe, der gütigen Mithilfe des Bundesrats und des vorauseilenden Gehorsams der SRG.

Die Plafonierung

Die SRG mag von aussen wie ein byzantinisches Unternehmen anmuten. Doch die Finanzierung ist einfacher zu verstehen als die eines KMU. Im Grunde gibt es nur zwei Einnahmequellen: Die eine sind die Gebühren, die andere die kommerzielle Werbung. Die Gebühren sind dabei deutlich wichtiger: 2023 machten sie gemäss SRG-Jahresrechnung 1266 Millionen Franken aus, während die Werbung noch auf 210 Millionen kommt. Bei beiden Einnahmequellen hat die SRG ein Problem: Die Werbung ist wie bei allen klassischen Medien rückläufig. Seit 2014 mit damals noch 371 Millionen haben sich die Einnahmen in den letzten zehn Jahren fast halbiert. Um die Gebühren wiederum tobte im gleichen Zeitraum eine heftige politische Auseinandersetzung.

Alles begann mit «Lügen-Bigler», wie der damalige Gewerbeverbandspräsident Hans-Ulrich Bigler wegen unlauterer Behauptungen in Abstimmungskämpfen von Kritiker:innen gerne genannt wurde. So auch 2015 beim neuen Radio- und Fernsehgesetz (RTVG), mit dem die damalige Billag-Gebühr von Haushalten und Unternehmen angesichts der digitalen Mediennutzung neu geregelt wurde. Zuvor hatte es eine Art Selbstdeklarationssystem mit Billag-Schnüffler:innen gegeben, die etwa in WGs das Vorhandensein eines Radios oder Fernsehers zu überprüfen versuchten.

Bigler und Konsorten störte an der neuen Regelung vor allem, dass grössere Unternehmen deutlich mehr als bisher bezahlen sollten. Im Kern ist die Auseinandersetzung um die Gebühren also die gleiche, die im Neoliberalismus auf allen Feldern ausgefochten wird: Es geht primär darum, die juristischen Personen, sprich das Kapital, gegenüber der Bevölkerung zu entlasten. Hinzu kamen die eingeübten helvetischen Mythen über eine angeblich linke Unterwanderung der SRG.

Die Vorlage wurde denkbar knapp angenommen: Nur 3700 Stimmen fehlten dem Gewerbeverband zum Coup. In der Politik machte sich daraufhin Nervosität breit, stand doch eine noch weitergehende Vorlage an: die No-Billag-Initiative von libertären Jungpolitiker:innen, mit der die Gebühren abgeschafft worden wären – was die SRG automatisch ruiniert hätte. Auch um die Initiative abzuwehren, traf die damalige Medienministerin Doris Leuthardt 2016 in einem Bericht über den Service public einen folgenschweren Entschluss: Sie plafonierte den Gebührenanteil der SRG bei 1,2 Milliarden. Damit wurde er auch vom Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum entkoppelt. Der Gebührenanteil der privaten Radio- und Fernsehstationen wird im Gegensatz dazu prozentual ausgeschüttet – und damit laufend angepasst.

Im Frühling 2018 wurde die No-Billag-Initiative dank eines breiten zivilgesellschaftlichen Engagements haushoch abgelehnt, mit mehr als 71 Prozent Nein-Stimmen. Doch statt sich bei der Bevölkerung für die Unterstützung zu bedanken, trat die damalige SRG-Spitze um Direktor Gilles Marchand in Bern wie Verlierer:innen vor die Presse und kündigte ein Sparprogramm über hundert Millionen Franken an. Marchands Schlagwort: «Effizienzsteigerung». Fortan fuhr die SRG eine Doppelstrategie: Während sie sich in Bern gegen den politischen Druck wehrte, gab sie diesen in Form von sogenannten Transformationsprozessen an die eigene Belegschaft weiter.

Der Gegenvorschlag

Gemäss der Mediengewerkschaft SSM forderten die Umstrukturierungen bisher 500 Stellen. Sie habe zwar den Abbau insgesamt nicht verhindern können, schreibt die Gewerkschaft auf Anfrage, aber immerhin einen guten Gesamtarbeitsvertrag und einen guten Sozialplan erkämpft sowie die Schliessung des Radiostudios in Bern verhindert.

Die Gegner:innen der SRG liessen sich von all den Kürzungen indes nicht besänftigen: Im Frühling 2022 starteten SVP, Jungfreisinnige und Gewerbeverband die «Halbierungsinitiative». Haushalte sollen nur noch 200 Franken Gebühren bezahlen – und Firmen gar keine mehr. Bei einer Annahme würden für die SRG und die Privaten statt derzeit 1,3 Milliarden Franken nur noch rund 700 Millionen zur Verfügung stehen. Bevor nächstes Jahr über die Initiative abgestimmt wird, tun die Helfershelfer:innen der Initiative im Bundeshaus alles, um die SRG vorab zu schwächen.

Zuerst trat SVP-Medienminister Albert Rösti auf den Plan: Er erliess mit dem Bundesrat eine Verordnung, dass ab 2029 die Haushaltsabgabe von heute 335 Franken auf 300 gesenkt wird und achtzig Prozent der Firmen davon ausgenommen sind. Kostenpunkt: 120 Millionen. Den Teuerungsausgleich von geschätzten 60 Millionen will der Bundesrat der SRG nicht mehr wie bisher gewähren. Ab 2029 rechnet die SRG wegen zusätzlich sinkender Werbeeinnahmen von 90 Millionen mit Einbussen von insgesamt 270 Millionen – das sind siebzehn Prozent des Budgets. Die Gewerkschaft SSM warnt vor der Streichung weiterer tausend Stellen.

Auch das Parlament will bei der Initiative mitreden: FDP-Politiker Andri Silberschmidt hat einen indirekten Gegenvorschlag lanciert – und dafür in der Fernmeldekommission des Nationalrats mit Unterstützung von Politiker:innen der Mitte und der GLP eine knappe Mehrheit gewonnen. Der Gegenvorschlag fordert gemäss den formulierten Eckdaten, dass die Haushaltsabgabe gesenkt wird – und sämtliche Unternehmen von der Abgabe ausgenommen werden. Deshalb kommen Cina und Wille in ihrem Schreiben an die ständerätliche Schwesterkommission auf die Zahl von kumuliert 450 Millionen Franken, die in Zukunft fehlen würden.

Silberschmidt will nichts davon wissen, dass er Rösti rechts überholt. «Die Eckdaten sind in der Beratung im Parlament noch festzulegen. Ich persönlich würde bei den Einsparungen insgesamt nicht weiter gehen als der Bundesrat.» Wichtig sei ihm vielmehr, dass der Gegenvorschlag die SRG inhaltlich auch verpflichte, mehr Rücksicht auf die Privaten zu nehmen. «Mein Ziel ist es, dass die Initiative am Ende zurückgezogen wird und uns allen ein unschöner Abstimmungskampf erspart bleibt», sagt Silberschmidt.

Das Worst-Case-Szenario

«Diese Vorstellung ist absurd», meint dagegen SP-Medienpolitiker Jon Pult. «Die Initiant:innen werden ihr Anliegen höchstens dann zurückziehen, wenn es im Parlament de facto umgesetzt ist.» Auch Pult warnt vor dem Gegenvorschlag. «Wird im Parlament erst einmal über das Gesetz beraten, ist angesichts der aktuellen Mehrheitsverhältnisse das Worst-Case-Szenario zu erwarten.» Dass also die SRG, wenn nicht halbiert, so doch um ein Drittel ihrer Einnahmen gebracht wird. Und all das, ohne dass überhaupt schon über die «Halbierungsinitiative» abgestimmt worden ist. Ein für die direkte Demokratie in der Schweiz einmaliger Vorgang.

Ob ihn der Ständerat fortsetzt? Aus der Kommission heisst es, die Vertreter:innen der Berg- und Randregionen dürften für den Service public das Schlimmste verhindern.

Nachtrag vom 20. Februar 2025: Lichtblicke für die SRG

Das Verdikt am Montag war deutlich: Mit zehn zu zwei Stimmen lehnte die vorberatende Kommission des Ständerats einen Gegenvorschlag zur «SRG-Halbierungsinitiative» von SVP, Jungfreisinn und Gewerbeverband ab. Diesen hatte die Schwesterkommission des Nationalrats lanciert, er hätte dramatische Folgen. Einsparungen von bis zu 470 Millionen Franken jährlich wären damit laut SRG zu befürchten: ein Drittel des heutigen Budgets von Radio und Fernsehen. Wie die Kommission für Verkehr- und Fernmeldewesen schreibt, erachtet sie eine «starke, viersprachige SRG als wichtig für eine lebendige Demokratie und eine qualitativ hochstehende journalistische Grundversorgung, insbesondere auch in den sprachlichen Randregionen». Die in der kleinen Kammer stark vertretenen Politiker:innen aus den Bergkantonen dürften den Ausschlag für den Entscheid gegeben haben.

Die Mediengewerkschaft SSM warnt allerdings davor, dass damit der Gegenvorschlag noch nicht vom Tisch sei, weil die nationalrätliche Kommission daran festhalten und ihn so ins Plenum bringen könnte. Sie erinnert auch daran, dass die SRG wegen der eigenmächtigen Gebührenkürzung des Bundesrats trotzdem siebzehn Prozent ihrer jährlichen Einnahmen verlieren wird. Bereits hat SRF erste Sparmassnahmen angekündigt, etwa die Einstellung des «Wissenschaftsmagazins» am Radio. Dagegen wiederum haben die Luzerner Fotografin Monique Wittwer und der frühere «Hochparterre»-Chefredaktor Köbi Gantenbein eine Petition lanciert. Innert einer Woche kamen 20 000 Unterschriften zusammen. Am Samstag wollen sie diese in Basel SRG-Generaldirektorin Susanne Wille und SRF-Direktorin Nathalie Wappler überreichen (vgl. «Kurzfutter statt Kontext»).

Allenfalls ist die Aktion für die beiden Chefinnen eine nützliche Erinnerung daran, wie man die Abstimmung gegen die halbschlaue Initiative am ehesten gewinnt: mit einem zufriedenen Publikum statt vorauseilendem Gehorsam gegenüber der SVP.