Energiepolitik: Flüsse befreien statt Abgaben zahlen!
Sie sind ein Kernstück des Schweizer Umweltrechts: die Ersatz- und Ausgleichsmassnahmen. Zerstört eine Autobahn einen geschützten Froschteich, muss die Bauherrschaft in der Nähe einen neuen Teich ermöglichen. Nimmt ein Staudamm einem Fluss die natürliche Dynamik, muss ein anderer mehr Freiheit bekommen. Nicht immer lässt sich das Zerstörte gleichwertig ersetzen. Aber dank der im Natur- und Heimatschutzgesetz verankerten Regelung wurden einige grosse Renaturierungen von Flüssen, etwa im Engadin, überhaupt möglich.
Der Mehrheit des Nationalrats ist das egal. Sie will, dass die Bauherrschaften der sechzehn Wasserkraftprojekte, die gemäss Stromgesetz Priorität haben, nicht mehr selbst für Ersatz und Ausgleich zuständig sind. Sie sollen eine Abgabe an den Standortkanton zahlen, der sich darum kümmern soll. Wer die Machtverhältnisse in manchen Bergkantonen kennt, hat Grund, das für eine schlechte Lösung zu halten. Überdies widerspricht sie dem Stromgesetz, das die Bevölkerung letztes Jahr angenommen hat: Darin steht ausdrücklich, bei diesen Wasserkraftprojekten seien «zusätzliche Ausgleichsmassnahmen zum Schutz von Biodiversität und Landschaft» vorzusehen – also mehr als das vorgeschriebene Minimum.
Zudem greift die rechte Parlamentsmehrheit immer wieder das Beschwerderecht der Umweltverbände an. Dabei gibt dieses den Verbänden bloss die Möglichkeit, bei grossen Bauprojekten darüber zu wachen, dass Gesetze eingehalten werden. Oft verhindert eine Beschwerde ein Projekt nicht, sondern verbessert es.
Wegen der Angriffe auf Ersatzmassnahmen und Verbandsbeschwerde drohen die Grünen zu Recht mit einem Referendum. Die SVP stört sich an zu wenig Gemeindeautonomie bei Windkraftanlagen in derselben Vorlage, dem «Beschleunigungserlass», den SVP-Bundesrat Albert Rösti unbedingt durchbringen will. Darum ist nun die ganze Vorlage absturzgefährdet – die Beschlüsse werden in die Sommersession verschoben. Bis dann haben FDP, Mitte und SVP Zeit, sich zu erinnern, dass Naturschutz einmal ein bürgerliches Anliegen war.