Steuerdaten: Wer fürchtet sich vor Transparenz?
Der Bund will Steuerdaten aus den Kantonen auswerten können. Doch nach mildem Gegendruck stoppt der Bundesrat die Reform.

Alles war darauf angelegt, dass die Reform reibungslos durchrutscht. Schon der Name des Geschäfts schläfert ein: Revision der Bundesstatistikverordnung. Es geht um Anpassungen bei 52 Paragrafen mit dem hauptsächlichen Ziel, dass wichtige kantonale Statistiken nicht in den Kantonen vermodern, sondern zum Bund gelangen. Statistische Daten, darunter Steuerdaten, sollen künftig so erhoben werden, wie es die FDP in einem überwiesenen Vorstoss 2016 gefordert hatte: nach dem «Once Only»-Prinzip, wonach Privatpersonen und Firmen Angaben gegenüber dem Staat nur einmal zu machen brauchen. Eine Reform gut verortbar unter den Schlagwörtern digitale Verwaltung, Entlastung, Effizienzgewinn.
Als vor gut einem Jahr die Vernehmlassung dazu zu Ende ging, hatten sich noch nicht einmal alle Parteien die Mühe gemacht, daran teilzunehmen. Grundsätzliche Kritik kam vor allem aus einzelnen Kantonen, fast alle wichtigen Verbände waren dafür. Doch heute ist die Revision so gut wie tot. Noch vor Auswertung der Vernehmlassung hat der Bundesrat die Notbremse gezogen.
Es ist eine erstaunliche Wende. An einer harmlos wirkenden Verwaltungsreform scheint sich ein fundamentaler Richtungsstreit entzündet zu haben. Es geht um die Frage, ob sich Politik und Verwaltung an Fakten orientieren sollen – oder daran, was ihnen beim Durchsetzen ihrer Ziele hilft.
Verzögerungstaktik
Die Vorgeschichte dazu beginnt lange vor dem FDP-Vorstoss. Sie fängt schon 2008 mit der Unternehmenssteuerreform II an, die SP spricht vom «grössten Abstimmungsbetrug der Schweiz», weil die Reform entgegen den Beteuerungen des damaligen Finanzministers Hans-Rudolf Merz Steuerausfälle in Milliardenhöhe brachte. Die Geschichte setzt sich fort mit der Heiratsstrafe-Abstimmung von 2016, die zwei Jahre später wegen falscher Angaben sogar vom Bundesgericht annulliert wurde. Auch heute bei der Initiative für eine Erbschaftssteuer steht die Qualität der Prognosen wieder im Zentrum der öffentlichen Debatte. Und damit auch ein Verdacht: Gibt es ein politisches Interesse an schlechten Daten und an möglichst dehnbaren Schätzungen?
Vehement Widerstand gegen die Statistikreform leistete zunächst vor allem der Kanton Waadt. Er stellt sich auf den Standpunkt, für den Datentransfer bedürfe es einer neuen gesetzlichen Grundlage – eine Verordnungsänderung reiche nicht aus. Die Waadt weigerte sich schon 2020, bei einer Machbarkeitsstudie mitzumachen, angeblich um das Steuergeheimnis zu wahren. Später, bei einer ersten «informellen Vernehmlassung», lancierte der Kanton ein eigenes «Kurzgutachten», das zwei Rechtsgutachten des Bundes widersprach. Ein höchst ungewöhnlicher Vorgang. Dann brachte die Waadt die Finanzdirektor:innenkonferenz dazu, gegen das Vorhaben zu opponieren. Die Gründe für den Widerstand bleiben unklar. In Bundesbern machen zwei Vermutungen die Runde: Der Kanton könnte seine Grosszügigkeit bei der Pauschalbesteuerung oder fragwürdige Praktiken beim Erheben der Bundessteuer verschleiern wollen. Fragen der WOZ kann die Waadtländer Finanzdirektion nicht innert nützlicher Frist beantworten.
Weil der Kanton Waadt mit seinem Widerstand aber in der Minderheit blieb, trat der Waadtländer FDP-Nationalrat Olivier Feller auf den Plan, der mittels Vorstoss die Forderung nach einem neuen Gesetz bekräftigte. Der Gesetzesweg würde jahrelange Verzögerungen bringen – und viele neue Angriffspunkte für Gegner:innen des Datentransfers.
Kein Interesse an einer Debatte
Am selben Tag wie Feller reichte auch der Tessiner Mitte-Ständerat Fabio Regazzi einen Vorstoss in der Sache ein. Er ist nebenbei Direktor des Gewerbeverbands und wartete dort zuletzt mit einer abenteuerlichen Studie zu drohenden Milliardenausfällen bei einer Annahme der Juso-Erbschaftssteuer auf. Angeblich aus Furcht vor Hackerangriffen verlangt Regazzi, die Kantone müssten die Steuerdaten anonymisieren, bevor sie sie an den Bund transferieren. «Sonst ist das eine Verletzung des Steuergeheimnisses», sagt er gegenüber der WOZ. Es sei aus seiner Sicht auch nicht nachvollziehbar, «welchen Mehrwert die Nichtanonymisierung den Statistikern bringen soll».
«Durch die Anonymisierung verlören die Daten einen grossen Teil ihrer Nützlichkeit für Auswertungen», erwidert Kurt Schmidheiny, Professor für Wirtschaft und Ökonometrie an der Uni Basel. Vor zwei Wochen war Schmidheiny als Experte in der ständerätlichen Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur (WBK), um die Wichtigkeit nichtanonymisierter Daten für die Forschung und für «evidenzbasierte Wirtschaftspolitik» zu erklären. Er gibt ein Beispiel: Bei Steuerreformen werde immer wieder argumentiert, dass diese zum Wegzug wichtiger Steuerzahler:innen führen würden. Doch wie viele Personen mit welchen Einkommen und Vermögen dies wären, woher sie kämen oder wohin sie zögen, könne mit der aktuellen Datenlage praktisch nicht abgeschätzt werden. «Umzüge kann man mit anonymisierten Daten nicht nachvollziehen», sagt Schmidheiny. Ohne Verknüpfungsmöglichkeit mit anderen Datensätzen wären ausserdem Pannen wie bei der Heiratsstrafe-Abstimmung weiterhin nicht auszuschliessen.
Auch für das sogenannte Armutsmonitoring sind diese Daten wichtig. Damit argumentiert das Innendepartement (EDI) von Elisabeth Baume-Schneider (SP), das auch für das Bundesamt für Statistik verantwortlich ist. Denn nur in nichtanonymisierter Form lassen sich die Steuerdaten, die detailliert über Einkommensverhältnisse und Schulden Auskunft geben, mehrjährig verfolgen. Sonst tauchen einfach jedes Jahr neue Datenpunkte auf.
Gute Gründe für die Reform, würde man meinen. Doch noch bevor sich die WBK die Argumente der Expert:innen anhörte, wurde eine andere Kommission tätig. Die Wirtschafts- und Abgabenkommission des Nationalrats, angeführt von SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi, kopierte kurzerhand die beiden Vorstösse von Feller und Regazzi und verabschiedete sie mit deutlichen Mehrheiten – ohne eigentliche Debatte. «Wir wurden davon völlig überrascht», sagt Schmidheiny, der als Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Volkswirtschaft und Statistik vorstellig wurde, «das Geschäft war in der öffentlich sichtbaren Sitzungsplanung nicht aufgeführt». Ein Beitrag zur Debatte aus wissenschaftlicher Sicht war so nicht möglich.
Aeschi reagierte nicht auf eine Anfrage der WOZ. Dass es ihm nicht um eine sachliche Auseinandersetzung zu Fragen der Datensicherheit geht, zeigt aber schon die Überschrift der Medienmitteilung zum Kommissionsentscheid: «Nein zum gläsernen Bürger». Doch was soll gläsern werden, wenn kantonale Daten zum Bund wandern?
Schmidheiny sagt, er verstehe die Sorge um den Datenschutz. Technische Lösungen zur Wahrung der Privatsphäre seien aber problemlos möglich und gut erprobt. So könnte garantiert werden, dass die Daten das Bundesamt für Statistik nicht mehr verlassen würden und verwaltungsinterne oder externe Forschende nur Zugang zu pseudonymisierten Steuerdaten hätten. Gegenüber den aktuellen Ad-hoc-Analysen bei Bund und Kantonen würde dadurch die Datensicherheit sogar erhöht.
Einigermassen naiv
Obwohl die beiden Motionen der WAK noch nicht durch die Räte sind, beugt sich der Bundesrat dem Druck bereits. Er gibt die Änderung der Verordnung auf und schwenkt auf die Forderung von Feller und dem Kanton Waadt ein, wonach es ein neues Gesetz brauche. Der Bundesrat wolle nicht gegen den Willen des Parlamentes daran festhalten, die Steuerdatenerhebung gestützt auf die heutige Rechtsgrundlage durchzuführen, begründet das Innendepartement den Kurswechsel. Man hofft aber recht naiv, dass damit die Forderung nach der Anonymisierung der Steuerdaten vom Tisch ist: «Denn Daten, welche vor der Lieferung anonymisiert werden, sind für zahlreiche relevante Analysen nicht brauchbar.» Die Herausforderungen bei steuerpolitischen Modellierungen hielten daher an, so das EDI diplomatisch. Deutlicher gesagt: Mit weiteren groben Falschprognosen wäre zu rechnen.
Wirtschaftsprofessor Schmidheiny hofft, dass der Transfer der Steuerdaten nicht in den Mühlen der Parteipolitik zerrieben wird. Und dass daraus keine Auseinandersetzung zwischen linken Befürworterinnen und rechten Gegnern wird, sondern dass ein Entscheid im Sinne der Bürger:innen getroffen wird. «Wenn man eine faktenbasierte Politik will, muss man sich hinter die Reform stellen», sagt Schmidheiny.