Film: Eurokommunist der Herzen

Anderthalb Millionen Menschen drängten sich durch Rom, als Enrico Berlinguer im Juni 1984 beigesetzt wurde – der Generalsekretär der Kommunistischen Partei Italiens (PCI) war einige Tage zuvor bei einer Rede zusammengebrochen und wenig später mit 62 Jahren gestorben. Berlinguer war schon zu Lebzeiten ein Volksheld, der nicht nur in der Linken grosse Sympathien genoss, was der Musiker Giorgio Gaber einmal mit dem Satz auf den Punkt brachte: «Mancher war nur Kommunist, weil Berlinguer ein guter Mensch war.»
Bis heute ist der wie Antonio Gramsci in Sardinien geborene Politiker in Italien populär, jedenfalls lief die Filmbiografie «Berlinguer. La grande ambizione» von Andrea Segre dort sehr erfolgreich in den Kinos. Dabei ist die Geschichte, die der Regisseur aufbereitet, kompliziert: Der «grosse Ehrgeiz» im Titel meint Berlinguers Versuch, einen Ausgleich mit der Democrazia Cristiana zu erreichen und so der PCI den Weg in die Regierung zu bahnen. Dies verlangte die Distanzierung von der UdSSR sowie ein Bekenntnis zur liberalen Demokratie und schliesslich sogar zur Nato: In Moskau beobachtete man den «eurokommunistischen» Kurs mehr als argwöhnisch.
Der Film konzentriert sich auf die Zeit zwischen 1973 (Putsch in Chile) und 1978 (Ermordung Aldo Moros). Sehenswert ist er vor allem dank Elio Germano: Er spielt Berlinguer als aufrechten, aber fast schüchtern wirkenden Homo politicus, dem der enorme Druck auf seine Person geradezu körperlich eingeschrieben ist. Für schöne Bilder sorgen Szenen von Berlinguers Besuch im Kreml.
Viel von dem, was die damaligen Kämpfe prägte, bleibt trotzdem eine Randnotiz, was gerade für die Autonomia-Bewegung gilt. Der linke Widerstand gegen Berlinguers Kurs wird von dessen Sohn personifiziert, der am Küchentisch dem Vater Widerworte gibt. Die italienische Ausgabe des Magazins «Jacobin» bemängelte, dass der Film so die radikale Kritik an der Parteilinie «infantilisiere». Die wirklich grossen Ambitionen auf Veränderung hatten damals tatsächlich andere.