Steuergerechtigkeit: Der Wind hat schon lange gedreht
Die Glaubenssätze der rechten Steuersenkungspolitik verfangen nicht mehr. Das zeigt sich im Kanton Zürich deutlich. Wäre da nur nicht der Sonderfall Basel-Stadt.
SP-Nationalrätin Jacqueline Badran wirkt gut gelaunt am Telefon: Vergangenen Sonntag haben die Stimmberechtigten im Kanton Zürich eine Steuersenkungsvorlage für Unternehmen mit 54,5 Prozent abgelehnt. In den linken Städten sehr deutlich, aber auch in der rechten Peripherie klar. «Die Leute haben gecheckt», freut sich Badran, «dass sie die Steuersubventionen für die Konzerne finanzieren müssten.»
Dazu hat auch Badran ihren Beitrag geleistet. Auf Instagram hat sie ein Video hochgeladen, in dem sie sich über die immer gleichen Argumente rechter Wirtschaftspolitik lustig macht. «Steuerwettbewerb, Standortwettbewerb, das habe ich schon so oft gehört, das kommt mir wie Peterli zu den Ohren raus» – in dem Moment wachsen tatsächlich zwei Büschel Petersilie aus ihren Ohren. Zehntausende Mal sei das Video angeschaut worden, sagt Badran. Die Botschaft der linken Gegner:innen hat in der ganzen Spannweite des Kantons verfangen.
Das Ergebnis scheint nicht nur bürgerliche Politiker:innen auf dem falschen Fuss erwischt zu haben, auch die Zürcher Medien hadern und zeigen sich entweder persönlich beleidigt («Zürich, zero points», NZZ) oder ergehen sich wie der «Tages-Anzeiger» in heiterem Rätselraten. Was wohl die Ursache für diesen Abstimmungsausgang sei, wollte der «Tagi» von Politolog:innen wissen. Wachstumsmüdigkeit diagnostizierte Michael Hermann, sein Fazit zu vielen Themen. Lukas Golder (SRF) vermutete dagegen, die Interessen der Multis und der Stimmbevölkerung seien nicht mehr gleich gerichtet – als wären sie das je gewesen.
«Das Geld fliesst aus dem System»
Die plausibelste Erklärung hat es dagegen nach wie vor schwer, Gehör zu finden: Die Glaubenssätze der Steuersenkungspolitik sind längst widerlegt. Weder kommt es allen zugute, wenn Konzerne ihren Sitz hierher verlegen, noch führen höhere Gewinne zu mehr Investitionen, wie immer behauptet wird. Badran hat die Fakten parat: Die KMUs hätten von den Steuersubventionen nicht profitiert, achtzig Prozent der Zürcher Unternehmen zahlten keine oder kaum Steuern. Und die Gewinne der Konzerne würden auch nicht reinvestiert, sondern wanderten gemäss Bundesrat zu 85 Prozent über Dividendenausschüttungen an Eigentümer:innen im Ausland ab oder würden für Aktienrückkäufe verwendet, um die Kapitalrendite zu steigern – «das Geld fliesst aus dem System». Auch sei es gar nicht wünschenswert für Zürich, mehr Firmen anzulocken, weil das einen teuren Ausbau der Infrastruktur nach sich ziehe, ohne dass es zu einem Wohlstandsgewinn pro Kopf käme – Kosten, die von der Allgemeinheit getragen und finanziert werden müssten, «von den normalen Leuten», sagt Badran.
Kaspar Bopp, SP-Finanzdirektor von Winterthur, führt noch eine weitere Klärung an, die stattgefunden habe: «Die Leute vertrauen den angeblichen dynamischen Effekten von Steuersenkungen nicht mehr.» Dass also Steuersubventionen einen Wachstumsschub auslösten, der die unmittelbaren Steuerausfälle überkompensiere. «Es gibt keine Anhaltspunkte für einen dynamischen Effekt», sagt Bopp, der sich emsig und mit Erfolg für ein Nein eingesetzt hat: In Winterthur lehnten zwei Drittel der Abstimmenden die Vorlage ab.
Steuergerechtigkeit ist nicht mehr nur linkes Vokabular, sondern als Kompass in der ganzen Breite der Bevölkerung verfestigt. Auch weil das Schreckgespenst von der Abwanderung der Konzerne, sollten sie nicht von Staat und Allgemeinheit verhätschelt werden, kaum mehr Angst macht. Das galt am vergangenen Sonntag jedenfalls in Zürich.
Was war anders? Die SP
In Basel-Stadt sieht die Lage anders aus. Auch dort standen Steuerprivilegien für Grosskonzerne zur Abstimmung, gebündelt in einem Standortpaket, das Mehrerträge aus der OECD-Mindeststeuer von bis zu 500 Millionen Franken jährlich an die Pharmakonzerne zurückschleusen wollte. 63 Prozent der Abstimmenden sagten Ja dazu. Was war anders als in Zürich? «Das Verhalten der SP», sagt BastA!-Grossrätin Tonja Zürcher. Anders als in Zürich setzte sich die SP in Basel-Stadt für die Steuersubventionen ein. Eine vereinigte Linke hätte das Standortpaket versenkt, glaubt sie. Der zweite Unterschied: «In Zürich schaut man viel kritischer auf die UBS als in Basel auf Roche und Novartis.» Trotzdem stuft sie das Ergebnis besser ein, als es auf den ersten Blick wirkt. Sie will im Stadtkanton eine «positive Tendenz» ausgemacht haben. Als 2019 exzessive Steuerprivilegien der Pharmakonzerne zur Abstimmung standen, stimmten 79 Prozent dafür. «Die enorme Drohkulisse der Pharma, abzuwandern, hat gewirkt – aber nicht mehr so stark wie auch schon», befindet Zürcher.
Sie hofft, dass die kritische öffentliche Auseinandersetzung mit dem Geschäftsmodell der Pharma und ihren Wirkungen in Basel nun Fahrt aufnimmt. Weitergehen soll die Debatte in der zweiten Jahreshälfte, wenn voraussichtlich die Volksinitiative «Pharma für alle» eingereicht wird, die eine öffentlich finanzierte Medikamentenentwicklung an den Konzernen vorbei fordert.
Auch Jacqueline Badran hält die «symbiotische Beziehung» von Basel-Stadt zur Pharmaindustrie für einen Sonderfall. «UBS und CS haben sich nie um ihren Standort gekümmert, so wie die Pharma das in Basel macht», sagt sie, «also kümmern wir uns auch weniger. Und wegziehen können sie nicht, weil die Swissness ihr Businessmodell ist.»