Literatur: Dieser bodenlose Hunger

Ein zarter Zombieroman von jenseitiger Poesie, ziemlich lustig und unfassbar traurig: Gibts nicht, oder? Jetzt schon, dank der australischen Künstlerin Anne de Marcken. «Heute habe ich meinen linken Arm verloren», notiert die Ich-Erzählerin gleich im ersten Satz. Ihren Namen hat sie auch verloren: Sie weiss ihn nicht mehr, denn sie ist ein Zombie, gestrandet in einem Hotel mit ihresgleichen. Den abgefallenen Arm versucht sie im Hemdsärmel zu fixieren, gegen das Verlustgefühl, aber der baumelt dann nur so blöd: «Warum ist mein Arm tot, während ich selbst untot bin?»
Untote, die in der ersten Person erzählen? Auch das gibts kaum, mit gutem Grund: Zombies haben kaum Bewusstsein, und Fleisch allein kann keine Geschichten erzählen. De Marcken muss also ein bisschen mogeln, aber der Bluff zahlt sich aus. Ihre Erzählerin weiss zwar nicht mehr, wer sie ist oder war, aber sie trägt noch ganz leise Erinnerungen in sich, an ein geliebtes Du von früher, an gemeinsame Momente in den Dünen: «Ich vermisse Schlaf. Ich vermisse dich.» Vermisst sie also: die Liebe?
Sie macht sich auf den Weg durch eine postapokalyptische Ödnis. Manches auf dieser lyrischen Reise wirkt dann etwas bemüht oder beliebig, wie die Wörter, die eine sprechende Krähe von sich gibt. Wo alles dermassen verschoben ist, ist es irgendwann auch egal. Doch bevor unsere Zombiefrau nach ihrem Arm auch noch den Kopf verliert, wird sie zur Hungerkünstlerin. Ein letztes Mal weidet sie zwei Lebende aus, die so unvorsichtig waren, sich für die Liebe nach draussen zu wagen – und trainiert sich dann ihren Appetit ab, weil sie erkennt, dass dieser bodenlose Hunger eigentlich nichts anderes ist als: Trauer. Ihr unseliger Zustand als Zombie ist also nicht zuletzt eine monströse Metapher für eine existenzielle Trauer, die sich nicht abschütteln lässt.
Wehmut und Grauen: ungeheuer belebend, wie Anne de Marcken diese unmögliche Balance wahrt, und ihre Sprache ist ein Ereignis. Aber das Buchcover «unter Verwendung von Midjourney»: Suhrkamp, was hast du dir dabei gedacht?