Zuger Wahlen: Aus dem Dorf für die Welt
Die Linke könnte mit Andreas Lustenberger in die Zuger Regierung zurückkehren – auch weil sich der grüne Kandidat konsequent gegen die unsozialen Folgen der Steuerpolitik engagiert.

Andreas Lustenberger ist in Baar nicht zu übersehen. Wo man hinschaut, blickt er von Plakaten zurück, ob am Bahnhof, am Gemeindehaus oder an Velos. Wäre die Plakatdichte entscheidend, würde der Kandidat der Grünen am Sonntag spielend in die Regierung gewählt. Aber auch aus anderen Gründen kann sich der 39-Jährige Chancen ausrechnen, für die Linke erstmals seit 2018 einen Sitz zu erobern. Das hat viel mit der Entwicklung von Baar und dem Kanton Zug zu tun, die auch Lustenbergers eigene Geschichte ist.
In Baar geboren, aufgewachsen und fast immer hier wohnhaft gewesen; in der Pfadi aktiv, im Musik- und im Turnverein; auch die kaufmännische Lehre hat er auf der Gemeindeverwaltung absolviert: Lustenberger kennt Baar durch und durch. Und damit auch die Veränderung, die den Ort erfasst hat. Zählte er zu Beginn der achtziger Jahre noch 15 000 Einwohner:innen, sind es heute 25 000. «Den Leuten hier ist aber wichtig, dass wir weiterhin als Dorf gelten, mit Vereinen, Fasnacht und eigenem Bier», sagt Lustenberger beim Treffen in einem Café am Bahnhof. «Denn solange wir ein Dorf sind, müssen wir gewisse Sachen auch nicht direkt ansprechen, tragen dafür keine Verantwortung.» Diese Sachen – es sind die Folgen der Tiefsteuerpolitik des Kantons Zug. Kein Firmenname ist stärker mit dieser Politik verbunden als jener des Rohstoffhändlers Glencore, der hier in Baar seinen Hauptsitz hat.
Lustenberger stammt zwar aus einer politischen, kirchlich aktiven Familie, schon die Mutter sass für die heutigen Grün-Alternativen im Kantonsrat. Zuerst war er aber nur in den Vereinen «im Dorf» tätig, wie er selbst sagt. Im Passerellenjahr, mit dem er sich das Studium ermöglichte, weckten zwei Lehrer:innen sein Interesse für Fragen der Globalisierung und der Gerechtigkeit. Lustenberger ging zu den Jungen Grünen, bald zu den Grün-Alternativen. «Die waren sich nicht zu schade, immer wieder vor dem Hauptsitz von Glencore zu protestieren.» Wie oft war er selbst dabei? «Sicher zehnmal», sagt er und lacht. Auch beruflich beschäftigt Lustenberger heute die Gerechtigkeit, er leitet den Bereich Grundlagen und Politik bei der Caritas.
Belastende Mieten
Das letzte Mal, dass Lustenberger die Geschäfte von Glencore kritisierte, war bei der Einreichung der neuen Konzernverantwortungsinitiative Ende Mai. Im vergangenen Jahr weilte er für zwei Monate in Peru, um im Distrikt Espinar mit Betroffenen über die gesundheitlichen Auswirkungen einer Glencore-Mine zu sprechen. «Es ist für sie ermutigend zu hören, dass auch in Zug nicht alle mit den Konzernen einverstanden sind.» Doch zurück im bürgerlich dominierten Kanton, verstellt man sich mit solchen Äusserungen nicht eine Wahl in die Regierung? «Im Gegenteil, ich habe sehr viele positive Reaktionen erhalten.» In der Bevölkerung steige das Bewusstsein für die negativen Seiten des Steuerdumpings. Dieses wirke sich nicht nur im fernen Peru aus, sondern auch vor der eigenen Wohnungstür.
Das drängendste Problem im Kanton sind die Mietkosten, wie kürzlich eine Umfrage der Zuger Wirtschaftskammer zeigte. Eine direkte Folge der Steuerpolitik, weil die Konzerne gut bezahlte Expats anlockten, aber auch Reiche aus der übrigen Schweiz. «Personen mit geringem Einkommen können sich im Kanton Zug kaum mehr eine Wohnung leisten», sagt Lustenberger, der mit seiner Partnerin für eine 3,5-Zimmer-Wohnung in Baar auch schon 2750 Franken bezahlt. «Und dieser Preis ist vergleichsweise tief.» Mit Initiativen versucht die Linke zwar immer wieder, den gemeinnützigen Wohnungsbau zu fördern. «Mehr Erfolg haben wir bei der Entlastung der Normalverdienenden», sagt Lustenberger. So konnte er im Kantonsrat auch die Mitte-Partei für bessere Familienergänzungsleistungen gewinnen.
Überraschender Zuspruch
Dass es ihm gelingt, über die Linke hinaus Allianzen zu schmieden, hat wohl mit seiner klaren und gleichzeitig umgänglichen Art zu tun, die man im Gespräch spürt. Überhaupt scheint Lustenberger kaum Berührungsängste zu kennen. So half er vor einigen Jahren auch im Organisationskomitee des Eidgenössischen Schwing- und Älplerfests mit. Vom Schwung, den seine Kampagne erhalten hat, ist er dennoch überrascht: SP, EVP und CSP unterstützen ihn, dazu mehr als 700 Einzelpersonen, sogar Mitglieder der SVP. «Auf der Strasse höre ich oft, dass es wieder eine linke Stimme in der Regierung braucht», sagt Lustenberger. Und auf der Strasse ist er derzeit ständig: Im Wahlkampf hat er an die hundert Veranstaltungen besucht.
Als der Kanton Zug 2013 beschloss, beim Wahlverfahren für die Regierung vom Proporz zum Majorz zu wechseln, versprachen die Bürgerlichen, die Linke freiwillig zu berücksichtigen. Daran gehalten haben sie sich freilich nicht. Auch jetzt wollen die FDP und die Mitte-Partei den durch die Wahl von Martin Pfister zum Bundesrat frei gewordenen Sitz erringen, ebenso eine Kandidatin der GLP und zwei Parteilose. Lustenberger hofft, im ersten Wahlgang das beste Resultat zu erzielen. «Dann ist alles möglich.»
Und welche Idee hat er für die Regierung, falls es im zweiten Wahlgang klappen sollte? Lustenberger muss nicht lange überlegen: «Eine Regionalpartnerschaft zwischen Zug und dem peruanischen Espinar wäre doch ein guter Anfang für ein neues Bewusstsein.»