Populismus in Polen: Alle gegen die Ukrainer:innen
Polens Präsident setzt auf die wachsende Unzufriedenheit seiner Landsleute – und verschärft die Politik gegen Geflüchtete aus dem Nachbarland.
Polens neuer Präsident Karol Nawrocki hatte bereits im Wahlkampf antiukrainische Töne angestimmt – nun lässt er seinen Worten Taten folgen. Schon kurz nach seinem Amtsantritt Anfang August hat der 42-Jährige ein Gesetz angekündigt, mit dem er auf die gewaltvolle polnisch-ukrainische Geschichte rekurriert: Er will die Huldigung für die ukrainische Partisanenarmee im Zweiten Weltkrieg (Upa) sowie für Stepan Banderas, den Anführer ihres politischen Arms, unter Strafe stellen.
Nawrocki begründet diesen innen-, nicht aussenpolitisch motivierten Schritt mit der Ermordung Zehntausender Pol:innen durch die Upa 1943 in Wolhynien. Die ukrainische Regierung reagierte verstimmt auf diese De-facto-Gleichsetzung – sollte ein solches Gesetz tatsächlich in Kraft treten – der Upa mit den Nazis, mit denen diese zeitweise kollaborierte.
Hohe Erwerbsquote
Nawrocki beliess es nicht bei diesem Vorstoss. Der Politneuling hat Ende September auch ein Gesetz im Parlament eingebracht, das Einbürgerungen erschweren soll. Auch diese Idee ist – unausgesprochen – vor allem gegen die Ukrainer:innen im Land gerichtet. Inzwischen plant die Regierung selbst eine entsprechende Verschärfung. Und nicht zuletzt hat Nawrocki sein Veto gegen ein Gesetz der Regierung eingelegt, das unter anderem die Sozialleistungen für die Kinder in Polen lebender Ukrainer:innen verlängern sollte. Stattdessen wollte er die Zahlung von Sozialleistungen für ukrainische Kinder von einer beruflichen Tätigkeit der Eltern abhängig machen. Die Regierung hat seine Forderungen weitgehend übernommen und begründet dies mit dem angeblichem «Missbrauch» von Sozialleistungen durch Ukrainer:innen.
Dass es sich dabei um populistische Stimmungsmache handelt, wird bei einem Blick in die Statistik deutlich. In Polen leben rund eine Million ukrainische Geflüchtete – das ist nach Deutschland die höchste Zahl in Europa. Hinzu kommen rund eine halbe Million Ukrainer:innen, die teils schon vor vielen Jahren als Arbeitsmigrant:innen kamen. Die Erwerbsquote von Ukrainer:innen ist mit 69 Prozent nur wenig tiefer als jene von Pol:innen (75 Prozent) und damit deutlich höher als in der Schweiz (Ende 2024: 38 Prozent). Das kommt auch daher, dass ukrainische Staatsbürger:innen beim Zugang zum Arbeitsmarkt den polnischen gleichgestellt sind. Und auch wenn viele unter ihrem Qualifikationsniveau arbeiten und ihr Durchschnittsverdienst unter dem landesweiten Schnitt liegt, tragen sie inzwischen fast drei Prozent zum polnischen Bruttoinlandprodukt bei.
Doch um Fakten geht es nicht. Offenbar auch im Windschatten der lavierenden Ukrainepolitik seines wichtigen Unterstützers, US-Präsident Donald Trump, reagiert der polnische Präsident mit seinem Vorstoss auf wachsende Vorbehalte gegenüber den Ukrainer:innen in der polnischen Bevölkerung: Mehr als 85 Prozent befürworten etwa seine Idee zu den Restriktionen beim Kindergeld. Rund 40 Prozent sind dafür, keine weiteren ukrainischen Geflüchteten ins Land zu lassen. Innert zweier Jahre sank zudem die Zahl der Pol:innen, die positiv gegenüber Ukrainer:innen eingestellt sind, um rund 20 Prozentpunkte.
Die Soziologin Jolanta Klimczak von der Schlesischen Universität Kattowitz sieht dafür mehrere Gründe. Zum einen kursierten aufgrund von Russlands Informationskrieg auch in Polen Falschinformationen. «Hinzu kommt, dass sich Menschen – wenn es ihnen schlechter zu gehen beginnt – einen Sündenbock suchen. Und die Regierung von Premier Donald Tusk hat eben ihre eher linken Versprechen in Fragen der Wirtschaft und des Lebensstandards nicht umgesetzt.» Nicht zuletzt habe über lange Zeit eine Art «politische Korrektheit» hinsichtlich der ukrainischen Geflüchteten geherrscht, in der kritische Stimmen nicht zu Wort kamen. «Dies hat sich, verstärkt durch den generellen Rechtsruck in Polen und im Ausland, geändert», so Klimczak.
Ohne Zweifel will Nawrocki – und inzwischen auch die liberal-konservative Regierung – die zunehmend nationalistische Stimmung im Land aufgreifen, von der bislang vor allem die nationalistisch-libertäre Partei Konfederacja profitiert. Diese ist offen antiukrainisch und seit Monaten im Aufwind; in Umfragen liegt sie inzwischen bei bis zu siebzehn Prozent. Mit einem solchen Ergebnis bei der Parlamentswahl im Herbst 2027 käme niemand mehr an der Partei vorbei – was die regierende PiS unbedingt vermeiden will.
Immense Verschuldung
Auch die Regierung sieht inzwischen, dass sich mit Polens Position zu Russlands Krieg gegen die Ukraine, mit dessen faktischen oder mutmasslichen Provokationen, vor allem aber mit der rasant steigenden Staatsverschuldung die innenpolitische Lage zuspitzt. Letzteres hängt vor allem mit den Ausgaben für Verteidigung und neue Waffen im Umfang von fast fünf Prozent des BIP zusammen. Die Ratingagenturen Fitch und Moody’s haben Polens Bewertung im September von stabil ins Negative gesetzt.
Die Regierung kündigte bereits im August die Erhöhung indirekter Steuern an. Nawrocki, der im Wahlkampf versprochen hatte, solchen Vorstössen nicht zuzustimmen, dürfte sein Veto einlegen. So werden dem Staat die Mittel für notwendige Investitionen fehlen – vor allem für solche im überlasteten und unterfinanzierten Gesundheitswesen und im Wohnungsmarkt. Zwei Bereiche, die tatsächlich und auch in der Lesart vieler Pol:innen durch die Migration zusätzlich strapaziert werden.