Von oben herab : Cosa sarà
Stefan Gärtner isst Linsensuppe

Es ist vielleicht weniger Ironie denn Konsequenz, wenn die Revolution, kommt sie einmal, mich an die Wand stellt, weil ich, bin ich ehrlich, nur den kleineren Teil meines Lebens von eigener Hände Arbeit gelebt habe. Erst habe ich von meinen Eltern gelebt; dann war ich Redaktor und auf Zuschuss nicht angewiesen; jetzt bin ich freischaffend und käme vermutlich klar, aber nicht mit Familie. Die lebt von meiner Frau und meinen lange toten Eltern.
Ich muss immer lachen (sarkastisch, aber doch), wenn im Fernsehen von «Inflationsausgleich» die Rede ist, denn ich kriege keinen, weil die Blätter, die mich beschäftigen, tendenziell vor der Insolvenz stehen, und dabei habe ich noch Glück gehabt, dass es nicht alle sind (WOZ!) und die andern mich so gern beauftragen. Ich verdiene also seit Jahren nominell dasselbe, während alles immer teurer wird, was ich spätestens dann merke, wenn die Familie essen geht. Das geschieht, schon der Kinder wegen, eher rustikal, produziert aber Rechnungen, die ich, lebte ich nicht in den Umständen, in denen ich lebe, höchstens sehr ausnahmsweise begleichen könnte und eigentlich gar nicht.
Das mag die Revolution wiederum gnädig stimmen, dass ich wenigstens theoretisch weiss, was es heisst, wenn gewisse Dinge für kleine Einkommen nicht (mehr) infrage kommen. Zwar ist die Pizzeria gegenüber, wo die Musik gern zu laut und die Servietten aus Papier sind, meistens voll, aber das ist dann vermutlich die Zweidrittelgesellschaft, denn dass ein Busfahrer oder eine Erzieherin 140 Euro für vier Hauptgerichte plus Vorspeisenteller ausgeben kann (zwei Bier, zwei Flaschen Wasser), ist unwahrscheinlich, schon gar nicht einfach so, unter der Woche und weil man vielleicht bloss vergessen hat einzukaufen.
Gemessen an den Löhnen, berichtet «20 Minuten» unter Berufung auf das australische Branchenmagazin «Chef’s Pencil», ist Essengehen in der Schweiz dagegen billig, und wer hier aufmerksam mitliest, wird sich an mein Essen in der Basler Kunsthalle erinnern, zu dem ich gottlob eingeladen war, und gemessen an den Gehältern derer, die mich da einluden, wars natürlich wirklich günstig, aber wirklich nur gemessen daran. «Gleich auf Platz drei landet Bern. Dort kostet ein Menü gemäss dem Magazin zwar 47.20 Franken – vom durchschnittlichen Monatslohn seien das aber nur 0,8 Prozent. Vor der Bundesstadt liegen auf der Rangliste bloss noch Maskat, die Hauptstadt des Oman, und Dallas in den USA.» Ich bezweifle, dass mein Wohnort von «Chef’s Pencil» geprüft wurde, aber selbst in der Systemgastronomie, die nicht McDonald’s ist, aber doch Burger serviert, wird es sehr schnell dreistellig, während das Benzin seit Jahren dasselbe kostet. Gemessen an dem, was linksgrüner Fortschritt will, ist das natürlich genau verkehrt herum, aber solange die Lokale voll sind, ist es wurscht und profitiert der Standort vom günstigen Kraftstoff, wie die Hauptlüge der Marktwirtschaft, Dietmar Dath hat es ausgeführt, ohnehin darin besteht, dass sie unterschlägt, dass der Markt gar nicht für alle da ist, es sei denn vielleicht der Flohmarkt: Wer kein Geld hat, nimmt am Markt nicht teil, und die Tafeln sind da also kein Skandal, sondern Symbol.
Roger Federer ist derweil, berichtet die «NZZ am Sonntag», Milliardär und wird sich den Platz an der Wand mit mir teilen müssen. Gemessen an Federers Durchschnittslohn, ist die Pizza bei mir ums Eck allerdings wirklich günstig, aber da ich zwar einen Tennisarm habe, aber nicht Roger Federer bin, gibt es heute Abend Linsensuppe: Meine Frau kauft ein, ich koche, und die Kinder mosern, weil sie lieber Pizza wollen und auch gar nicht wissen müssen, was ein Inflationsausgleich ist. Wenn niemand es wissen müsste, hätten wir die gerechte Gesellschaft schon, aber da sie nicht kommt, kommt jetzt eben Faschismus. Die Italiener werden bleiben dürfen.
Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er jede zweite Woche das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.