Indigene bei der COP30 in Belém: «Die Antwort sind wir»

Nr. 46 –

Noch nie nahmen so viele Indigene an einer Weltklimakonferenz teil. Sie fordern mehr Mitbestimmung, Respekt und Geld.

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Boot der Protestfahrt auf dem Amazonas-Fluss
Gegen die Abholzung und für gesunde Lebensmittel: Rund 300 indigene Vertreter:innen nehmen an einer Protestfahrt auf der sogenannten Sojaroute teil. Foto: Coletivo Apoena Audiovisual

Die Sonne sinkt über dem Hafen Porto Souza Sobrinho im brasilianischen Belém und legt einen goldenen Schimmer auf das Wasser, als ein zweistöckiges Boot in den Hafen einläuft. «Ohne Amazonien gibt es keinen Planeten Erde», steht auf einem weissen Banner, das am Bug befestigt ist. An Bord der Flotilla Yaku Mama sind mehr als sechzig Indigene aus neun Ländern, die einen Monat lang vom Gletscher Cayambe in den ecuadorianischen Anden bis zur Mündung des Amazonas in Brasilien gereist sind – über 3000 Kilometer weit. «Guardia, guardia! Fuerza, fuerza!», rufen sie – ein kollektiver Ruf der Stärke und der Selbstbehauptung.

«Wir als indigene Völker schätzen die Natur, weil wir wissen, dass wir von ihr abhängig sind. Der Regenwald lebt, und wir sind ein Teil von ihm», sagt Leo Cerda an Bord der Yaku Mama, wo die Menschen einen Kreis geformt haben und sich an den Händen halten. Cerda ist Kichwa, 37 Jahre alt und in der Gemeinde Serena am Ufer des Río Napo im ecuadorianischen Amazonasgebiet aufgewachsen. Als Kind erlebte er mit, wie Bergbauunternehmen den Fluss mit Schwermetallen verseuchten. Nun ist er zur Weltklimakonferenz in Belém gereist, um seiner Gemeinschaft Gehör zu verschaffen. «Wir wollen eine führende Rolle bei den Klimaverhandlungen spielen», erklärt er gegenüber der WOZ, nachdem das Boot angelegt hat. «Denn wir beschützen die Regenwälder, die dank uns zur Stabilität des globalen Klimas beitragen.»

In der «Blue Zone»

Der Uno zufolge befinden sich achtzig Prozent der verbliebenen Biodiversität der Erde in indigenen Territorien. Das ist kein Zufall, sondern liegt daran, dass die Indigenen ihre Gebiete durch ihr traditionelles Wissen und ihre Lebensweise besonders nachhaltig nutzen und damit einen wichtigen Beitrag zum Schutz der Natur und der Artenvielfalt leisten. Der Amazonasregenwald ist eines der artenreichsten Gebiete der Erde und ihr wichtigster Kohlenstoffspeicher – und er wird von über 500 indigenen Ethnien bewohnt.

Die 30. Weltklimakonferenz der Vereinten Nationen (COP30) findet dieses Jahr zum ersten Mal in einem Regenwald statt. Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva will mit dem Austragungsort ein Zeichen setzen: Brasilien übernimmt nach den Jahren unter dem rechtsextremen Präsidenten Jair Bolsonaro wieder international Verantwortung im Klima- und Artenschutz. Unter Bolsonaro hatten die Abholzung und der CO₂-Ausstoss des Landes drastisch zugenommen. Lula will zeigen, dass ohne den Amazonasregenwald kein stabiles Weltklima möglich ist – und dass sein Schutz eine globale Aufgabe ist. Wohlhabende Industrieländer, die historisch betrachtet die grösste Verantwortung für die Klimakatastrophe tragen, sollen endlich ihren Beitrag leisten.

Es braucht einen Endspurt

Der Bundesrat weigert sich seit Jahren, dem internationalen Atomwaffenverbotsvertrag (TPNW) beizutreten, obwohl das Parlament dies wünscht. Deshalb hat ein breites Bündnis vor fast eineinhalb Jahren eine Volksinitiative lanciert, die eine Abstimmung über den TPNW-Beitritt ermöglichen will.

Unter Federführung des Schweizer Ablegers der Internationalen Kampagne zur Abschaffung der Atomwaffen und der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) sowie von SP und Grünen sind bisher rund 120 000 Unterschriften gesammelt worden.

«Wir rechnen durch die lange Sammelfrist mit vielen ungültigen beziehungsweise doppelten Unterschriften», sagt Joris Fricker von der GSoA. Um wirklich auf der sicheren Seite zu stehen, bräuchte es zusätzliche 8000 bis 10 000 Unterschriften bis zum Ende der Frist Anfang Januar, schätzt Fricker. Das Zustandekommen der Initiative sei wichtig, um dem aktuellen rechtsbürgerlichen Aufrüstungsfieber etwas Konkretes entgegen­­­zusetzen.

Das brasilianische Ministerium für indigene Völker, das von Lula 2023 als erstes Ministerium dieser Art in der Geschichte Brasiliens gegründet wurde, hat unter der Leitung von Sônia Guajajara die Einbindung Indigener in die Klimakonferenz aktiv gefördert. Als Vorbereitung bot das Ministerium Workshops und Trainings für Anführer:innen indigener Organisationen an, während der Konferenz werden Übernachtungsmöglichkeiten für 3000 Indigene aus Brasilien und dem Ausland bereitgestellt. «Wir wollen die Anerkennung indigener Gebiete als Klimapolitik», sagt Guajajara in einer Rede am Tag der Eröffnung der Uno-Klimakonferenz. «Wo indigene Völker leben, sind sauberes Wasser, giftfreie Lebensmittel, intakte Wälder und lebendige Biodiversität garantiert.» Sie hebt hervor, dass etwa 400 Indigene in der sogenannten Blue Zone akkreditiert sind, also in jenem Bereich, in dem die offiziellen Verhandlungen der Regierungsdelegationen stattfinden.

Fany Kuiru ist eine der akkreditierten Indigenen. Sie ist die erste Frau, die die Coordinadora de Organizaciones Indígenas de la Cuenca Amazónica leitet, eine Dachorganisation, die die Rechte der Indigenen im gesamten Amazonasbecken vertritt. Sie wuchs in La Chorrera im kolumbianischen Amazonasgebiet auf, einem der Zentren des Kautschukbooms, wo zum Ende des 19. Jahrhunderts Tausende Indigene versklavt und ermordet wurden. Als Gemeindevorsteherin der indigenen Uitoto kämpft sie dafür, das Bewusstsein für Menschrechtsverletzungen gegen Indigene zu schärfen. Auf der Weltklimakonferenz setzt sie sich dafür ein, dass die Indigenen in Amazonien nicht nur als Opfer oder Betroffene des Klimadesasters behandelt werden, sondern auch als zentrale Akteur:innen, die mit ihrem traditionellen Wissen einen Beitrag zum Klimaschutz leisten.

«Wir fordern, dass jede Klimafinanzierung, die in unsere Länder fliesst, unser traditionelles Wissen und ausdrückliche Garantien für die Achtung unserer Rechte beinhaltet», sagt sie auf einer Pressekonferenz in der Blue Zone der COP30, die sich in einem extra für die Konferenz gebauten Gebäude befindet. Vom Amazonasregenwald ist hier wenig zu spüren, bis auf den Platzregen, der immer wieder aufs Dach trommelt. Drinnen summen die Klimaanlagen, hier und da sollen Plastikpflanzen etwas Farbe in die graue Kulisse bringen. Fany Kuiro warnt davor, dass es ohne Respekt für die Indigenen «keine Lösung für die Klimakrise» geben werde. «Wir sind die Antwort», sagt sie.

Zur Uno-Klimakonferenz bringen die Staaten sogenannte Nationally Determined Contributions (NDCs) mit, nationale Klimaschutzpläne, in denen sie sich verpflichten, ihre Treibhausgasemissionen zu senken, sich an die Folgen der Erderwärmung anzupassen und regelmässig über ihre Fortschritte zu berichten. Sie gelten als Kern des Pariser Klimaabkommens von 2015, sind aber in der Realität häufig vage und unverbindlich. Nur etwa ein Drittel der Länder hat neue Klimaschutzpläne bis zum Jahr 2035 vorgelegt. Die Indigenen haben ihren eigenen Plan entworfen. Er beinhaltet unter anderem den Schutz indigener Gebiete, direkte Finanzierungsmechanismen und Beteiligungsgarantien bei den Klimaverhandlungen.

Einem Bericht des Forest Peoples Programme zufolge fliesst weniger als ein Prozent der internationalen Klimafinanzierung direkt an indigene Gemeinschaften, während siebzig Prozent zwischen Banken, Beratungsunternehmen und Regierungen verloren gehen, die oft denselben Rohstoffabbau fördern, der den Amazonasregenwald zerstört. Die Bürokratie, die Fristen und die Abhängigkeit von Vermittlern wie nichtstaatlichen Organisationen erschweren den Indigenen den Zugang zu finanziellen Mitteln, obwohl sie einen wichtigen Beitrag zum Klima- und Artenschutz leisten. Fast die Hälfte des verbleibenden intakten Waldes im Amazonasbecken befindet sich in indigenen Gebieten. Deshalb fordern sie, dass bei dieser Weltklimakonferenz im Abschlussbericht direkte Finanzierungsmechanismen für sie zugesagt werden.

Leo Cerda mit weiteren Aktivist:innen
«Wir wollen eine führende Rolle bei den Verhandlungen spielen»: Leo Cerda (hinten) reist mit sechzig Aktivist:innen von der Quelle bis zur Mündung des Amazonas. Foto: Keystone

Fany Kuiro erhofft sich von dieser COP konkrete Garantien für die Indigenen. «Es wird immer viel geredet und viel versprochen, aber wenig umgesetzt», sagt sie nach der Pressekonferenz gegenüber der WOZ. Sie hoffe, dass die Verpflichtungen dieses Mal konkretisiert und dann auch eingehalten werden. «Aber wir müssen realistisch sein: Wir versuchen, Einfluss zu nehmen, aber die Entscheidungen treffen die Staaten.»

Und die Staaten berücksichtigen bei den Klimaverhandlungen meistens weniger die Interessen indigener Ethnien und sozialer Bewegungen als diejenigen der fossilen Industrie, die die Erderhitzung mitverursacht hat. Ausgerechnet im Amazonasgebiet befinden sich erhebliche Erdöl- und Gasreserven, viele in indigenen Territorien. In Ecuador zum Beispiel, wo die Rechte der Indigenen und sogar die Rechte der Natur in der Verfassung anerkannt sind, treibt der rechte Präsident Daniel Noboa Ölbohrungen voran, die sowohl Ökosysteme als auch die Lebensgrundlagen der Indigenen bedrohen. Auch Brasiliens linker Präsident Lula da Silva erteilte wenige Wochen vor der Weltklimakonferenz dem staatlichen Ölkonzern Petrobras die Erlaubnis, im Amazonasbecken neue Ölfelder zu erschliessen.

Karawane auf der Sojaroute

«Die Staatschefs wollen Bergbau, sie wollen Öl, sie wollen Gold, sie wollen CO₂-Zertifikate», sagt Alessandra Korap, indigene Aktivistin der Munduruku, die im brasilianischen Amazonasgebiet leben. Sie wurde 2023 für ihr Engagement gegen den Bergbau und die Abholzung im Regenwald mit dem Goldman-Umweltpreis ausgezeichnet. Sie ist eine der 300 Teilnehmer:innen der Caravana da Resposta (Karawane der Antwort), die zwei Wochen lang über die sogenannte Sojaroute – den wichtigsten Exportkorridor der Agrarindustrie – vom Bundesstaat Mato Grosso aus bis nach Belém zur Weltklimakonferenz gereist ist. Denn ein Grund für die rasante Abholzung des Amazonasregenwalds ist der Anbau von Sojaplantagen – Soja, das anschliessend für Tierfutter in der Massentierhaltung exportiert wird, auch nach Europa.

«Wir essen hier kein Soja. Wir essen Fisch, Obst, alles, was der Wald uns hergibt», sagt Alessandra Korap. «Deshalb kämpfen wir gegen die Abholzung, gegen den Sojaanbau, gegen die giftigen Pestizide und für gesunde Lebensmittel.» Unterwegs hat die Karawane gesunde Lebensmittel von Familienbetrieben eingesammelt, um die solidarische Küche der Cúpula dos Povos (Gipfel der Völker), der Parallelveranstaltung der sozialen Bewegungen während der Klimakonferenz, zu versorgen. Die Karawane richtet sich auch gegen die geplante 933 Kilometer lange Ferrogrão-Eisenbahnstrecke von Sinop nach Miritituba am Rio Tapajós, ein Projekt, das von internationalen Agrarkonzernen unterstützt wird, um Soja effizienter zu exportieren.

Das Ergebnis der Weltklimakonferenz in Belém hängt davon ab, wessen Stimmen in den nächsten Tagen bei den Staats- und Regierungschef:innen Gehör finden. Die Stimmen derjenigen, die seit Jahrhunderten die tropischen Regenwälder bewohnen und beschützen – oder die Stimmen jener, die ihre Rohstoffe ausbeuten.

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Dieser Artikel wurde ermöglicht durch den Recherchierfonds des Fördervereins ProWOZ. Dieser Fonds unterstützt Recherchen und Reportagen, die die finanziellen Möglichkeiten der WOZ übersteigen. Er speist sich aus Spenden der WOZ-Leser:innen.

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