Udo Kier (1944–2025): Wo das Licht ist
Siebzig Mal stirbt Udo Kier im bloss achtminütigen Found-Footage-Film «Staging Death», den Jan Soldat in der Coronazeit kunstvoll zusammengeschnitten hat. Als Höhepunkt fädelt Kier nach der Selbstentleibung seine Gedärme in einen Filmprojektor ein: eine visionäre Szene aus John Carpenters Horrorepisode «Cigarette Burns». Kier ist in seinem Leben viele spektakuläre Filmtode gestorben – und wird doch den meisten wegen einer Geburt in Erinnerung bleiben.
In Lars von Triers Krankenhausserie «The Kingdom» muss eine bedauernswerte Frau seinen ausgewachsenen kantigen Charakterkopf aus ihrem blutigen Schoss pressen. Ein denkwürdiger Auftritt reiht sich in Kiers Laufbahn so an den nächsten. Carpenter und von Trier sind auch nur zwei der grossen Namen, mit denen Kier im Lauf seiner Karriere zusammengearbeitet hat. Dazu kommen, als Auswahl der bekanntesten, Warhol, Fassbinder, Visconti, Schlingensief und Madonna.
Das ist auch deshalb erstaunlich, weil diese Karriere sehr unwahrscheinlich war. Udo Kierspe, wie er damals hiess, wurde 1944 in Köln als uneheliches Kind in die Trümmer des Zweiten Weltkriegs hineingeboren. Vom Fliessband der Ford-Werke floh er nach London und knüpfte dort mit untrüglichem Instinkt, Talent und Charme Kontakte zu Schlüsselfiguren der Film- und Kunstwelt. Anfang der neunziger Jahre holte ihn Gus Van Sant für «My Own Private Idaho» in die USA und drehte eine weitere für die damalige Zeit unglaubliche Szene: Keanu Reeves, River Phoenix und Udo Kier beim lasziven Dreier.
Kiers Ruhm beruht fast ausschliesslich auf Nebenrollen, die er zum Ereignis stilisierte, indem er den Stars für ein paar Minuten die Szene stahl. Im Interview mit Arte sagte er, dass er zwar meist kleine Rollen spiele, Angebote aber nur annehme, wenn ihm die Figur im Gesamtgefüge des Films unverzichtbar erscheine. Die Regisseurin Nicolette Krebitz, mit der er befreundet war, beschrieb seine Anziehungskraft treffend als Cocktail aus Anarchie und Verführung. Er selbst nannte sich in Interviews gewohnt bodenständig: «fotogen»; er habe viel Glück gehabt – und arbeite gern. Aktuell ist er im brasilianischen Kinofilm «The Secret Agent» zu sehen – und demnächst in einem Game des Japaners Hideo Kojima.
Am 23. November ist Udo Kier in der Nähe seines Wohnorts Palm Springs gestorben. Unter der gleissenden Sonne Kaliforniens und, wie es scheint: mitten in der Arbeit.