Abstimmungsblog

Prämienentlastung: Noch nicht reif für die Normalität

Trotz Niederlage: Die Voraussetzungen für eine gerechtere Finanzierung der Gesundheitskosten sind besser geworden.

Illustration von Ruedi Widmer: Medikamentenschachtel mit der Aufschrift «Prämiensenker gegen kranke Kassen»
Illustration: Ruedi Widmer

Die Ernüchterung kam am heutigen Sonntag schon sehr früh: Die SP kann mit ihrer Prämienentlastungs-Initiative nicht ans sensationelle Ja zur 13. AHV-Rente von vor drei Monaten anschliessen. Ist das nun diese «Rückkehr zur Normalität» im schweizerischen Abstimmungsverhalten, wie der Politologe Silvano Moeckli sinngemäss auf «X» schrieb? 

Zumindest bleibt es in der Schweiz damit bis auf Weiteres bei der europaweit einzigartigen Anomalie, dass nur gerade 36 Prozent der Gesundheitskosten einkommensabhängig finanziert werden. Nochmals zur Erinnerung: In den OECD-Ländern werden im Schnitt rund 80 Prozent dieser Kosten durch Lohnprozente oder Steuergelder finanziert.

Nun lässt sich darüber spekulieren, inwieweit die SP für diese Initiative zu wenig gezielt mobilisiert haben könnte. Und ob sie mit der eher schwammigen Adressierung des «Mittelstands» jene Teile der Bevölkerung, die am stärksten von den steigenden Prämien belastet sind, zu wenig direkt angesprochen hat. Wobei sich gerade darin eine weitere gesellschaftliche Realität in diesem Land offenbart: In der Schweiz gibt es keine familienpolitische Lobby mit hinreichend politischem Einfluss – schon gar nicht für einkommensschwächere Familien. Anders als bei der Kampagne zur 13. AHV-Rente, in der unzählige Pensionierte im ganzen Land ihren wohlverdienten «Ruhestand» dafür nutzten, eine historisch einmalige Mobilisierung von unten zu realisieren, fehlte es bei der Prämienentlastung logischerweise genau jenen, die am stärksten unter der Prämienlast leiden, an der nötigen Zeit und Energie für eine vergleichbare Basisbewegung.

Hinzu kommt: Bei der 13. AHV-Rente war die Botschaft viel einfacher zu vermitteln. Bei der Prämienentlastung blieb hingegen bis zuletzt unklar, wer in welchen Kantonen wie stark – oder gar nicht – von ihr profitieren würde. Die Gegner:innen konnten so ungeniert die Behauptung verbreiten, dass eine Ausweitung der Prämienentlastungen den Mittelstand aufgrund von damit verbundenen Steuererhöhungen gar noch stärker belasten würde. 

Bei aller Ernüchterung: Dass 44,5 Prozent der Stimmberechtigten und acht – wenn auch fast ausschliesslich lateinische – Kantone der Initiative zugestimmt haben, ist ein Signal, das sich durchaus auch positiv lesen lässt. Zumindest in jenen Kantonen, in denen sich eine Mehrheit dafür ausgesprochen hat, könnten kantonale Initiativen bald schon zu einer gerechteren Finanzierung führen.

Auf eidgenössischer Ebene dürfte die Initiative für eine öffentliche Krankenkasse, die die SP heute angekündigt hat, viel grössere Chancen haben als beim letzten Versuch im Jahr 2014. Es ist nicht auszuschliessen, dass in ein paar Jahren auch die Schweiz reif sein wird für eine gewisse Normalität: für eine grundsätzlich einkommensabhängige Finanzierung, wie sie in den meisten Ländern längst üblich ist. Bis dahin allerdings geht es zunächst vor allem darum, die absehbaren Angriffe der Rechtsbürgerlichen auf den Leistungskatalog in der Grundversicherung abzuwehren.