Der WOZ-Blog zum Ukrainekrieg

«Dieser Krieg wird durch Ihr Geld angeheizt»

«Warum müssen wir jedesmal betteln?»: Anna Dovha (am Mikrofon) und ihre Mitstreiter:innen vom Klimastreik.

Ukrainische und Schweizer Klimaaktivist:innen erklären, wie sich der Krieg auf die Umwelt auswirkt. Sie fordern ein vollständiges Embargo für russisches Öl und Gas.

Wasser, Kekse und Kopien ihrer Personaldokumente hatte die Ukrainerin Anna Dovha bereits im Januar 2022 in ihre «Notfalltasche» gepackt. Auch die Luftschutzbunker in ihrer Stadt Charkiw im Osten der Ukraine hatte sie ausgekundschaftet. Denn die Angst vor einer möglichen russischen Invasion hatte seit Wochen in der Luft gelegen.

Kurz bevor es am 24. Februar so weit war, hatte sich die junge Studentin in Ungarn befunden. Statt in die Ukraine zurückzureisen, brachte sie sich zuerst in Belgien in Sicherheit, zwei Wochen später kam sie für die Weiterführung ihres Studiums in die Schweiz.

«Ich hätte nicht gedacht, dass die Invasion eine solche Zerstörung bringen könnte. Ich habe nicht geglaubt, dass eine Person, mit der ich in der Vergangenheit zusammengearbeitet habe, von einer russischen Rakete getötet werden könnte. Oder dass meine Fakultät komplett niedergebrannt werden würde», sagt Dovha.

Auch Nachbarländer betroffen

Am 31. Mai tritt Anna Dovha in Zürich bei einer Pressekonferenz vom Klimastreik Schweiz, von Fridays for Future Ukraine und Fridays for Future Russland auf. Mit dabei ist auch Anastasiia Onufriv, die vor zweieinhalb Monaten vor russischen Bombenangriffen in der Region Lwiw nach Deutschland geflohen ist. Beide Frauen waren bis zur Invasion für den ukrainischen Klimastreik – Fridays for Future Ukraine –  aktiv.

Onufriv betont die Auswirkungen des Krieges auf die Umwelt. «Spätestens seit die russische Armee Schützengräben in der Sperrzone von Tschernobyl aushob, wurde klar, dass der Krieg eine Bedrohung für die Umwelt ist», sagt  Onufriv. Ein weiteres Beispiel sei die Bombardierung des Asow-Stahlwerks in Mariupol, aufgrund derer gefährliche Chemikalien ins Asowsche Meer fliessen und die dortige Flora und Fauna vernichten könnten.

Die Bedrohung der Umwelt durch den russischen Angriff ist nicht neu: Der britische Thinktank Royal United Services Institute (RUSI) schreibt, dass der seit acht Jahren anhaltende Beschuss der stark industrialisierten Donbasregion, die Hunderte von Bergwerken, Kohleminen und Chemiebetrieben beherbergt, zur Freisetzung gefährlicher Abfälle und zur Verseuchung von Wasser, Boden und Land geführt habe.

In der Ukraine lässt sich zudem ein Drittel der Biodiversität Europas nachweisen. Diese Artenvielfalt ist durch Militäraktionen bedroht, die Landschaften zerstören. Andere Berichte erwähnen die Luftverschmutzung durch die Bombardierung von Infrastruktur und Ölbasen, die Emissionen von Militärfahrzeugen sowie die Verschmutzung von Böden und Wasser durch detonierte Munition oder giftige Minen und nicht explodierte Sprengkörper.

«Der durch den Konflikt verursachte Schaden bleibt nicht auf die ukrainischen Grenzen beschränkt», schreibt RUSI. Aufgrund gemeinsamer Ökosysteme und Wasserwege wirke er sich auch auf Nachbarländer aus.

Nur ein halbes Embargo

Die Botschaft der ukrainischen Klimaaktivistinnen ist klar: Es braucht ein EU-weites Embargo für russisches Öl und Gas, um die Verbrechen zu stoppen. «Dieser Krieg wird durch Ihr Geld angeheizt», sagt Onufriv. «Es ist eine sehr unangenehme Wahrheit, wenn man erkennt, dass man Teil des Systems ist, das das Töten, Vergewaltigungen und den Völkermord finanziert.»

Um die Abhängigkeit zu reduzieren, hat sich die EU diese Woche auf ein Verbot aller Importe von russischem Öl bis Ende 2022 als Teil der neuen Sanktionen gegen Russland geeinigt. Das Verbot betrifft jedoch nur die zwei Drittel des importierten Öls, das auf dem Seeweg eintrifft. Pipelineöl kann weiterhin eingeführt werden. Um den Bezug von russischem Gas zu minimieren, ziehen EU-Länder auch den Import von Energie aus Golfländern wie beispielsweise Katar in Betracht.

Für die Klimaaktivist:innen ist es jedoch keine Lösung, fossile Brennstoffe aus anderen Staaten zu importieren, die Menschenrechte verletzen. Sie fordern einen sofortigen Stopp jeglicher Investitionen, Kredite und Versicherungsleistungen für fossile Projekte und Unternehmen. «Von der Förderung über den Handel bis zur Verbrennung führen fossile Brennstoffe zu Zerstörung und Leid», sagt Cyrill Hermann vom Klimastreik Schweiz. Nicht nur in der Ukraine, sondern beispielsweise auch in Nigeria oder Libyen.

Militär sichert Öltransporte

Die  Beschaffung dieser Brennstoffe wird dabei aktiv von europäischen Militärs unterstützt. Fast zwei Drittel aller europäischen Militäreinsätze würden dazu genutzt, die Förderung und den Transport von Öl und Gas nach Europa zu überwachen und zu sichern, besagt eine Studie von Greenpeace vom Dezember 2021. Auch die Nato lässt sich die Sicherung von Öl- und Gasimporten etwas kosten: Mehr als 33 Milliarden Euro waren es im Zeitraum 2018 bis 2020.

Die Milliarden von Euro würden besser für den Ausbau erneuerbarer Energien verwendet, findet Greenpeace. Auch der Klimastreik Schweiz sagt, es gebe nur einen Ausweg aus diesem Teufelskreis: einen Systemwandel hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft. «Warum müssen wir eigentlich jedesmal, wenn Menschen bedroht werden, betteln und Massnahmen fordern? Das gilt sowohl für die Ukraine als auch für die Reaktion der Regierungen auf die Klimakrise», sagt Anna Dovha.