Der WOZ-Blog zum Ukrainekrieg

Karma im Exil

Crew der Karma-Bar in Kyjiw
«Unser Bankkonto ist gesperrt, und wir haben kein Recht, zu wirtschaften»: Aliaxander Haikowitsch (Zweiter von links) und das restliche Team der Karma-Bar in Kyjiw.

Seit Kriegsbeginn wurden nicht nur die Bankkonten russischer Staatsbürger:innen in der Ukraine eingefroren. Auch Menschen, die einst vor dem belarussischen Regime flohen, sind von den Massnahmen betroffen. Nun bangt auch eine Bar in Kyjiw um ihre Zukunft.

Die Adresse der Karma-Bar sucht man im Internet vergeblich. Eine unscheinbare Kellertür, kein Hinweisschild, nur eine Sprechanlage neben der Tür. Drinnen tönt psychedelische Rockmusik aus den Boxen, in der Luft hängt der Geruch von Räucherstäbchen, weiter hinten wird geraucht. Auf der Toilettentür kleben Antifa-Sticker, darunter steht: «Migration is fancy». Mit ihren sowjetischen Möbeln, die vom Sperrmüll geholt oder im Internet zusammengesucht und restauriert wurden, wirkt die Karma-Bar wie eine x-beliebige Hipsterkneipe. 

«Wir lassen mittlerweile nur noch Freunde rein», sagt Aliaxander Haikowitsch, der Barkeeper, der im Jahr 2020 nach den Protesten gegen den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko seine Heimatstadt Minsk verlassen und in Kyjiw neu angefangen hat. Mit einem Glas Limonade in der Hand zeigt er die Räume, die seit Monaten keine Partygäste, sondern nur noch humanitäre Hilfsgüter und freiwillige Helfer:innen gesehen haben. Obwohl das Leben langsam wieder nach Kyjiw zurückkehrt, bleibt die Karma-Bar weiterhin geschlossen. 

Auf der Suche nach Investoren

Seit Kriegsbeginn wird belarussischen und russischen Staatsbürger:innen das Betreiben von Unternehmen und gastronomischen Einrichtungen in der Ukraine erschwert, werden ihre Bankkonten eingefroren. Offiziell, um die Finanzierung terroristischer Aktivitäten zu bekämpfen, wie es in einer Erklärung der Nationalbank heisst. «Ich habe dafür Verständnis. Es herrscht Krieg. Aber das hier ist nur eine Bar, und seit mehr als vier Monaten wurden keine Mechanismen geschaffen, damit Leute wie wir aus dieser Situation herauskommen», sagt Haikowitsch. 

Der 31-Jährige ist einer von mehr als 10 000 Belaruss:innen, die in den letzten zwei Jahren in die Ukraine geflohen sind. Als er nach Kyjiw kam, wurden die geflüchteten Regimegegner:innen mit offenen Armen empfangen – in der ukrainischen Hauptstadt überwogen das Verständnis und die Sympathie füreinander. Damit sei die Eröffnung der Karma-Bar eine Formalität gewesen, so Haikowitsch. 

Doch dann griff Russland die Ukraine an, und seit dem ersten Kriegstag werden auch aus dem Gebiet der Republik Belarus Raketen auf ukrainische Städte und Dörfer abgefeuert. Nun kämpft Haikowitsch für das Überleben seiner Bar.

Für Kreative und Oppositionelle aus der belarussischen Diaspora ist die Undergroundbar noch immer einer der wichtigsten Treffpunkte in Kyjiw. Haikowitsch sucht verzweifelt nach neuen Investoren, die im Gegensatz zu ihm keinen belarussischen Pass besitzen. «Wir haben alle Lizenzen für den Ausschank von Alkohol, für die Küche. Aber wir sind nun mit der surrealen Situation konfrontiert, dass unser Bankkonto gesperrt ist und wir kein Recht haben, zu wirtschaften», sagt Haikowitsch, der die Karma-Bar gemeinsam mit Freund:innen betreibt.

Einer von ihnen ist Gleb Kowaljow. Der 30-Jährige floh am 24. Februar aus Kyjiw nach Warschau. «Wir haben die Bar im vergangenen Jahr aufgesperrt», erinnert er sich am Telefon. «Damals war es noch eine noble Sache, wenn man als Belarusse, der vor dem Lukaschenko-Regime geflohen ist, in Kyjiw etwas aufgebaut hat.»

«Lukaschenko vertritt nicht die Bevölkerung»

«Die Ukrainer wissen, dass Belarus einen selbsternannten Präsidenten hat, der ein autokratisches Regime führt», erklärt Roman Nekoliak, Experte für internationales Recht am Zentrum für bürgerliche Freiheiten in Kyjiw. Doch aus ukrainischer Perspektive sei Belarus seit Februar Teil der russischen Kriegsanstrengungen. «Lukaschenko und sein Regime vertreten nicht die belarussische Bevölkerung. Sie haben sich mit Unterstützung von Putins Russland an der Macht gehalten und das Land mit Menschenrechtsverletzungen überzogen», sagt Nekoliak. 

Im Jahr 1999 erklärten Russland und Belarus im Zuge ihrer Vereinigung zu einem Unionsstaat ihre verteidigungspolitische Integration. «Die belarussische politische Führung – nicht das belarussische Volk – hat während des russischen Einmarschs in der Ukraine nicht den Wunsch gezeigt, neutral zu bleiben», so Nekoliak. Zwar habe Kyjiw die diplomatischen Beziehungen mit Minsk noch nicht gestoppt und betreibe noch immer Handel mit dem Nachbarland, doch die Situation sei angespannt. «Durch diplomatische Beziehungen versucht die ukrainische Regierung, Belarus davon abzuhalten, seine Armee in der Nordwestukraine einzusetzen», sagt Nekoliak. 

Ein Treffpunkt für Andersdenkende

Getrieben von der Angst, erneut unter einem totalitären Regime leben zu müssen, die gewonnene Freiheit zu verlieren und im Alltag Anfeindungen vonseiten der Ukrainer:innen zu erleben, haben viele Belaruss:innen Kyjiw nach Beginn des Krieges verlassen – in Richtung Polen, Armenien oder Georgien. Kowaljow hat in Warschau mittlerweile einen Ableger der Karma-Bar eröffnet, ein weiterer soll bald in Danzig aufsperren. 

Das Konzept der Bars ist jenem der ursprünglichen Karma-Bar in Minsk nachempfunden, die vor sechs Jahren als gemütliche Kneipe für Studentinnen, Künstler, Musiker:innen startete. Das enge Kellerlokal mit den ungemütlichen Möbeln und Graffiti an den Wänden wurde schnell zum Treffpunkt für politisch Andersdenkende. So lange, bis die Spezialeinheit der belarussischen Polizei im Protestjahr 2020 auch seine Tür eintrat. 

«Wir haben die Tattoo- und Stickerkultur unterstützt und die linke Untergrundszene versammelt. Damit waren wir dem Regime ein Dorn im Auge», erzählt Kowaljow, der wegen seiner Tattoos auf Stirn, Wange und Hals in Minsk zahlreiche Male von der Polizei auf der Strasse angehalten und kontrolliert wurde. «Die Menschen in der Ukraine sind traurig. Sie sind wütend. Das verstehe ich. Sie kämpfen für ihr Land», sagt er. «Aber sie sind auch wütend auf uns Belarussen. Dafür, dass wir nicht mit Waffen gegen die Russen kämpfen.»

Bangen um den Aufenthalt 

Während Kowaljow in Polen versucht, Belarussinnen und Ukrainer im Exil wieder zusammenzubringen, an einen Tisch, vor ein DJ-Pult, blieb Aliaxander Haikowitsch mit seiner ukrainischen Ehefrau in Kyjiw. So wie viele seiner Landsleute bangt auch er um seine temporäre Aufenthaltserlaubnis, die jährlich erneuert werden muss. 

Der Sprecher des staatlichen Migrationsdiensts erklärt auf Anfrage zwar, dass es für belarussische Staatsbürger:innen seit Beginn des Angriffskriegs «keine Verbote und Einschränkungen im Bereich der Verwaltungsdienstleistungen gibt» und diese «die Ausstellung von Dokumenten in Übereinstimmung mit der geltenden Gesetzgebung der Ukraine frei beantragen können», Betroffene berichten dennoch von zahlreichen Hürden. 

«Wir können uns in der Ukraine frei auf der Strasse bewegen», sagt Haikowitsch. «Aber wir haben ständig Angst, dass wir von der Polizei kontrolliert werden und etwas mit unseren Papieren nicht in Ordnung ist.» In den nächsten Wochen entscheidet sich, ob auch er nach Warschau ziehen wird. Seine Aufenthaltsgenehmigung läuft in einem Monat aus.