Das Kleine als das wirklich Grosse
Kurze Nachricht von der Verhandlungfront: Es harzt. Die erste Konferenzwoche neigt sich dem Ende zu. Eigentlich sollten die UnterhändlerInnen in dieser Woche den Entwurf für einen Vertragstext zu einer handhabbaren Version zurechtzimmern. In der zweiten Woche wird auf MinisterInnen-Ebene weiterverhandelt, und da sollten eigentlich nur noch wenige offene Fragen zu klären sein.
Doch die Textgrundlage, wie sie zu Konferenzbeginn vorlag (PDF-Datei), war mit 54 Seiten nicht nur zu lang; sie umfasste vor allem 1617 eckige Klammern (wie das aussieht, habe ich anhand einer kleinen Passage in meinem Blogbeitrag vom 2. Dezember gezeigt). In den Klammern stehen Textvarianten zu strittigen Fragen. Die Verhandlungsleitung hat nun am Donnerstag, 8 Uhr, eine neue Textversion (PDF-Datei) publiziert, aber die umfasst nach wie vor 50 Seiten – und 1718 eckige Klammern! Der französische Aussenminister und Konferenzpräsident Laurent Fabius beklagte sich am Mittwoch denn auch, die Verhandlungen schritten «sehr langsam» voran.
Da ich die Verhandlungen noch immer aus der Distanz verfolge, möchte ich hier auf zwei anschauliche Artikel verweisen, die den Verhandlungsprozess anschaulich beleuchten: einer von Kollege Bernhard Pötter (der gelegentlich auch für die WOZ schreibt) in der «Tageszeitung» und eine vom «Klimaretter».
Verkehr und CO2-Emissionen
Ich selbst werfe nun einen Seitenblick auf eins der vielen Nebenthemen des Pariser Gipfels: den Verkehr als CO2-Schleuder. In keinem anderen Sektor wachsen die Emissionen so schnell, und der internationale Flugverkehr wie die internationale Schifffahrt haben es bisher geschafft, sich von der ganzen Klimapolitik nicht behelligen zu lassen (wofür das Climate Action Network seinen täglichen Negativpreis, den «Fossil of the Day Award», am Mittwoch an die International Maritime Organization (IMO) und die International Civil Aviation Organisation (ICAO) vergab.
Tags darauf erhielten wir akkreditierten JournalistInnen eine Pressemitteilung vom Sekretariat der Uno-Klimarahmenkonvention, die mehrere Initiativen in diesem Bereich ankündigte, zum Beispiel so: «65 countries committed to improve vehicles efficiency, a high impact opportunity!»
«Fahrzeugeffizienz». Man müsste ja eigentlich allen, denen an einem sorgsamen Umgang mit Sprache liegt, verbieten, von «energieeffizienten Autos» und Ähnlichem zu schreiben, denn bestenfalls gibt es weniger ineffiziente. Autos sind geradezu grotesk ineffizient: Ein Motor setzt ungefähr ein Fünftel der Energie, die im Benzin steckt, in kinetische Energie um. Diese kinetische Energie transportiert nun a) ein Fahrzeug von, sagen wir, 1500 Kilogramm und b) eine Fracht von, sagen wir 100 Kilogramm (im Schnitt 1,2 Personen), das heisst: Von dem Fünftel der Energie im Benzin, das auf die Räder wirkt, dient wiederum ein Sechzehntel dem eigentlichen Zweck, seine Fracht zu transportieren, und mit den anderen fünfzehn Sechzehnteln transportiert das Auto sich selber. Wir sind somit bei einer Energieeffizienz von knapp über einem Prozent (man rechne, wie es aussieht, wenn das Auto 2,5 Tonnen wiegt und die Fracht ein Kind ist, das zum Kindergarten gefahren wird!). Dabei haben wir aber weder die Energie zur Fahrzeugherstellung noch die zur Bereitstellung der Infrastruktur gerechnet, und vor allem haben wir noch nicht berücksichtigt, dass die modernen Verkehrsmittel im wesentlichen Bedürfnisse befriedigen, die sie selbst erst hervorgerufen haben – sie sind es, die zur Zersiedelung beitragen, die wiederum bedingt, dass man, um zur Arbeit oder zum Einkauf zu gelangen, diese Verkehrsmittel überhaupt braucht. Damit landen wir irgendwo im Promillebereich.
Warum ich dies so ausführe: Liest man all die Mitteilungen, die man rund um die Klimakonferenz erhält, mit den Ankündigungen all der schönen Initiativen, so könnte man glauben, alles werde gut. Dieser gute Eindruck hat viel damit zu tun, dass man (nicht nur die PR-Leute, auch die JournalistInnen) Oxymora wie «energieeffizientes Auto» verwendet, wenn eine Karre vielleicht statt 98,9 Prozent nur 98,5 Prozent des Energiegehalts des Benzins nutzlos verpufft.
Aber was wäre denn so schlecht an weniger ineffizienten Fahrzeugen? Wäre es nicht ein Schritt, wenn auch ein kleiner, in die richtige Richtung? Ich glaube kaum. Denn je effizienter der Verkehr wird, desto attraktiver wird es, noch mehr herumzufahren und herumzufliegen respektive Güter rund um die Welt zu senden. Und der Streit um technische Details wie Wirkungsgrade lenkt ab von dem, was es im Verkehr (und nicht nur da) so dringend bräuchte: von grundlegenden, systemischen Änderungen. Ich habe zu diesem Thema im Hinblick auf Paris einen Beitrag für das aktuelle «Velojournal» verfasst. Dafür sprach ich unter anderem mit Bernhard Ensink, Generalsekretär der European Cyclists' Federation. Ich will sein schönes Statement hier wiederholen:
Wenn die politische Welt internationale Probleme diskutiert, geht es um grosse Lösungen für grosse Probleme. Wir haben diese «big, big, big»-Sprache auch gelernt: Eine Kombination von Velofahren, Zufussgehen und öffentlichem Verkehr hat das Potenzial, das Leben von Milliarden zu verbessern. Aber man darf über solchen Reden das Kleine nicht vergessen. Unsere Vision geht vom menschlichen Mass aus, vom Lokalen, vom kleinen Gewerbe. Das Kleine muss im grossen Plan seinen Platz haben.
Dem Kleinen in unserer «big, big, big»-Welt mehr Platz zu verschaffen: Das wäre ja wirklich etwas Grosses!