WOZ-Abstimmungsblog

Klimaschutz­gesetz: Gegen die Realitäts­verweigerung

Illustration von Ruedi Widmer: Windräder und Solarzellen zu einem Blumentopf mit Blumen arrangiert
Illustration: Ruedi Widmer

Das Ja zum Klimaschutzgesetz ist ein wichtiger Grundsatzentscheid. Doch der Weg zu netto null wird nicht einfach.

Silvio Berlusconi war ein Pionier: einer der ersten Vertreter jener Politiker, die offensichtlich Bullshit erzählen, nur auf den eigenen Vorteil aus sind und in einer Parallelwelt leben, in der sich alles um sie dreht. Warum werden sie trotzdem gewählt? Eben nicht trotzdem, sondern gerade deshalb. «Die Putins und Trumps versprechen die reine Freude daran, die Beschränkungen der Realität aufzuheben», schrieb der britische Journalist Peter Pomerantsev 2019 in seinem Buch «Das ist keine Propaganda».

Das gilt ganz ähnlich für die SVP. Auf die Klimaerhitzung und viele andere drängende Probleme hat sie keine Antwort. Aber wer behauptet, es gebe das Problem gar nicht, muss auch keine Antwort liefern. Gerade das macht die Partei für viele Wähler:innen attraktiv: das Versprechen eines unendlich verlängerten 20. Jahrhunderts, in dem Einfamilienhaus, Privatauto und Ferien mit dem Flugzeug unverhandelbar sind (man hat es sich ja ehrlich verdient!). Das Versprechen einer Welt, in der das Erdöl bis in alle Ewigkeit fliesst, ohne dass wir von den ökologischen und politischen Verheerungen, die es anrichtet, etwas mitbekommen.

Diese Weltsicht ist irrational, die reine Realitätsverweigerung – aber für mehr als vierzig Prozent der Abstimmenden attraktiv, wie das Resultat dieses Sonntags zeigt. Zum Glück haben sie sich nicht durchgesetzt. Trotzdem ist diese Zahl beunruhigend. 

Vorwärts bei den Heizungen

Das Ja zum Klimaschutzgesetz ist ein Grundsatzentscheid, auf den man sich berufen kann: Die Schweiz hat sich bereits mit dem Pariser Klimaabkommen zu netto null Treibhausgasemissionen bis 2050 verpflichtet. Nun ist dieses Ziel von den Stimmberechtigten bestätigt worden. Aber über die Frage, wie es erreicht werden soll, wird es noch viele Auseinandersetzungen geben.

Das Klimaschutzgesetz ist der indirekte Gegenentwurf zur Gletscherinitiative. Wie die Initiative will es das Netto-null-Ziel erreichen,  aber im Gegensatz zu ihr ohne ein Verbot von fossilen Brenn- und Treibstoffen. Im Gebäudesektor kann das klappen: Das Ja bringt ein riesiges Investitionsprogramm zum Ersatz von fossilen Heizungen. Beim Verkehr fehlen hingegen konkrete Massnahmen.

Mit dem Klimaschutzgesetz müssen die Treibhausgasemissionen «so weit möglich» vermindert werden. Was übrig bleibt, wird «durch die Anwendung von Negativemissionstechnologien» ausgeglichen. Hier bleiben viele Fragen offen. Negativemissionen entstehen bei natürlichen Prozessen wie dem Wachstum von Bäumen oder Humusaufbau im Boden – oder aber durch die technische Entfernung von CO2 aus der Luft. Doch Letzteres braucht enorm viel Energie. Die Senkenwirkung von Wäldern wird mit der zunehmenden Sommertrockenheit immer unsicherer. Und die Wiedervernässung von Mooren kann zwar viel CO2 binden, ist aber hoch umstritten, weil es um produktive Ackerböden geht.

Weitere Auseinandersetzungen sind bei der Frage zu erwarten, welche «neuartigen Technologien und Prozesse» nach Artikel 6 des Klimaschutzgesetzes förderungswürdig sind. Ziemlich sicher wird hier Wasserstoff als Treibstoff ins Spiel gebracht werden, etwa für die Luftfahrt oder den Schwerverkehr. Die energieintensive Wasserstoffproduktion kann in kleinem Ausmass sinnvoll sein, nährt aber die gefährliche Illusion, Transporte und Flugreisen seien im heutigen Umfang klimaverträglich möglich.

Nur ein technisches Problem?

Das führt zur grossen Frage, die auch mit dem Ja zum Klimaschutzgesetz nicht beantwortet ist: Reicht es, einfach Benziner durch Elektroautos und Ölheizungen durch Wärmepumpen zu ersetzen – und ansonsten weiterzumachen wie bisher? Wer die «Klimafrage» auf ein technisches Problem reduziert – und diese Haltung ist bis in die SP hinein verbreitet –, wird dieses Ja als Signal dafür sehen, den Naturschutz weiter aufzuweichen und noch ins letzte Bergtal eine Staumauer zu stellen. Auch neue Autobahnen sind kein Problem mehr, wenn die Autos elektrisch darauf fahren.

Diese Weltsicht blendet nicht so viele Fakten aus wie jene der SVP. Aber doch auch ziemlich viele.