Durch den Monat mit Alain Bittar (Teil 2): Prallen Kulturen zusammen?
Sie sind Besitzer einer Buchhandlung. Was halten Sie als Kleinunternehmer von den streikenden Beamten in Genf und Lausanne?
Das ist eine Fangfrage! (lacht) Ich denke, dass alle Arbeitenden, was auch immer ihr Status ist, das Recht haben zu demonstrieren. Dennoch träume ich als Selbständiger ab und zu davon, Beamter zu sein.
Wie läuft Ihr Geschäft?
Grossanbieter und Internetangebote machen uns das Leben schwer, auch wenn für eine kleine, spezialisierte Buchhandlung wie unsere noch immer Nischen bleiben. Aber wie in jedem Kleinbetrieb fehlt am Monatsende manchmal das Bargeld.
Sie führen die Buchhandlung mit Ihrer Frau.
Ja, seit 25 Jahren. Es ist unser gemeinsames Lebenswerk.
Ist die Buchhandlung ein Ersatz für die diplomatische Karriere, von der Sie in Ihrer Jugend träumten?
Sie erlaubt mir, mein persönliches Gleichgewicht zu finden. Aber sie ist auch ein Ort des Austausches. Viele Kunden kommen aus arabischen Ländern, um hier ein Buch zu finden, das in ihrer Heimat verboten ist. Andere Kunden interessieren sich für die arabische Welt, wieder andere kommen, weil sie die Kultur ihres Lebenspartners kennen lernen wollen. Das gibt interessante Treffen.
Ihre Frau ist Französin, auch Sie führen eine Mischehe …
... und dieser Bezug auf zwei verschiedene Kulturen ist eine Quelle gegenseitiger Bereicherung!
Also kein Zusammenprall der Kulturen?
Es gäbe keinen Zusammenprall der Kulturen, wenn er nicht von den Medien herbeigeredet würde. Sie greifen das Thema auf, weil es die Auflage steigert. Sie verstärken die falsche Wahrnehmung, statt sie zu korrigieren.
Wie meinen Sie das?
Nach dem 11. September konnte man den Eindruck haben, in der arabischen Welt gebe es nur Bartträger und gefährliche Terroristen. Kaum ein Blatt, das sich dem herrschenden Denken widersetzte. Dabei wird immer gleich vorgegangen: Man sucht die Ausnahme und schreibt sie zur Regel um. Stellen Sie sich vor, eine arabische Zeitung würde schreiben, die christlichen Fundamentalisten von Ecône seien massgebend für alle Christen der Schweiz! Damit leisten die Medien den Ideologen, die salbungsvoll vom Zusammenprall der Kulturen reden, perfekte Schützenhilfe.
Sie selbst waren während zehn Jahren Herausgeber der arabischen Version einer Zeitung, die gegen das herrschende Denken anschreibt, «Le Monde diplomatique».
Vor dem Irakkrieg ging das so: Wurde eine Nummer in einem Land verboten, konnte sie im Nachbarland mit gesteigerter Auflage abgesetzt werden. Beim ersten Irakkrieg wurde es schwierig. Alle Regime, die für die USA waren, haben die Zeitung verboten, ebenso alle, die sich auf die Seite des Irak stellten! Und dabei blieb es leider – es gab damals noch kein al-Dschasira, noch nicht diese ersten Ansätze von Medienfreiheit, die wir heute kennen.
Gibt es den arabischen Diplo noch?
Es gibt eine Internetversion, und in verschiedenen Ländern werden verschiedene Artikel publiziert. Eine komplette gedruckte Ausgabe gibt es nicht mehr.
Sie haben vor zwei Jahren ein Manifest lanciert, das zum friedlichen Zusammenleben zwischen Israel und Palästina aufruft.
Das Manifest wurde von rund tausend Israelis und Palästinensern, Juden und Arabern unterzeichnet und von zahlreichen Schweizern anderer Herkunft unterstützt. Daraus ist ein Verein entstanden, der Treffen zwischen den Konfliktparteien organisiert. Unsere Botschaft: Seht, wir reden miteinander, das ist der Beweis, dass es einen andern Weg gibt als die Gewalt! Wir sind überzeugt, dass es solche Räume des Dialogs zwischen den Zivilgesellschaften Israels und Palästinas braucht. Der Dialog wird möglich, wenn die Angst der Israelis und die Rechte der Palästinenser gleich ernst genommen werden.
Was ist für Sie das Schlimmste an diesem Konflikt?
Die falsche Wahrnehmung. Jeden Tag zählen die Medien die Toten und Verwundeten. Es ist praktisch der einzige Konflikt, in dem die Namen der Opfer beider Seiten bekannt sind. Auf diese Weise entsteht der Eindruck, es handle sich um eine Art Gleichgewicht des Schreckens. Dabei gibt es seit dem Beginn des Konflikts eine Konstante, die schrittweise Einnahme palästinensischer Erde durch Israel.
Der Buchhändler und Verleger Alain Bittar, 51, führt zusammen mit seiner Frau die arabische Buchhandlung «L’Olivier» in Genf.