Durch den Monat mit Alain Bittar (Teil 4): Ist Kerry was Bush?

Wir sprachen vom Dialog zwischen arabischer und westlicher Kultur – weshalb ist der Faden abgerissen?
Das hat mit den Analysen der amerikanischen Neokonservativen zu tun. Sie sagen Folgendes: Die strategischen Ressourcen Wasser und Öl sind nicht unerschöpflich, sie können nicht in den Händen unzuverlässiger Regimes gelassen werden, die USA müssen sie in Besitz nehmen oder wenigstens kontrollieren.

Und die These von einer Konfrontation zwischen Okzident und Islam ...
... ist Propaganda zur Rechtfertigung der amerikanischen Politik. Es gibt nicht eine muslimische Welt, sondern verschiedene muslimische Regierungen, die nicht viel miteinander zu tun haben. Wenn die blinde Expansionspolitik von Bush und Sharon etwas gebracht hat, dann dies: Die Bevölkerungen der arabischen Länder sind sich einig in der Verurteilung dieser Politik.

Auch «SonntagsBlick»-Kolumnist Frank A. Meyer hat in einem Kommentar den Islam verantwortlich gemacht für terroristische Aktionen.
Das ist Unsinn. Ein Mensch wird nicht wegen des Islam zum Terroristen, sondern weil er den Terror als Aktionsform wählt. Und das geschieht, wo Einzelne den Eindruck haben, sich auf keine andere Weise mehr ausdrücken zu können. Das Gefährliche am Terrorismus ist, dass er das moralische Urteil ausser Kraft setzt. Je nachdem, auf welcher Seite man sich befindet, sind die Terroristen Helden oder Mörder.

Die Grüne Partei reichte Anzeige gegen Meyer ein, wegen Verletzung der Antirassismus-Strafnorm. Halten Sie das für vernünftig?
Ich bin allergisch auf alles, was nach Zensur aussieht. Anderswo sind Lobbygruppen am Werk, die am liebsten jede Kritik an Israel verbieten würden. Wie weit soll man gehen dürfen? Wer sagt, was genehm ist und was nicht? Wollen wir eine Gesellschaft, die ihre Bürger als Babys behandelt, denen der rechte Glauben mit der Saugflasche verabreicht werden muss?

Die USA wählen. Kerry oder Bush – ein Unterschied?
Innenpolitisch gesehen gibt es Unterschiede. In der Aussenpolitik hat der amerikanische Präsident Aufgaben zu lösen, die ihm die Wirtschaft aufgibt. Die Rüstungsindustrie ist nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch sehr einflussreich. Da ist der Spielraum klein.

Welche Aufgaben?
Das amerikanische Imperium ist mit einer unangenehmen Tatsache konfrontiert: Seine Macht nimmt ab, während der Einfluss Europas und Chinas unaufhaltsam zunimmt. China ist der zukünftige Hauptgegenspieler der USA im Kampf um die natürlichen Ressourcen. Das Imperium hat deshalb die Flucht nach vorn angetreten, um die Ressourcen und Märkte zu kontrollieren, die für die Entwicklung Chinas unerlässlich sind.

Was bedeutet das für den Mittleren Osten?
Wenn die Amerikaner ihre Politik nicht ändern, bedeutet es Balkanisierung und Chaos. Das missfällt weder den amerikanischen Neokonservativen noch Scharon.

Was ist mit dem Rückzug Israels aus Gasa?
Die Debatten im israelischen Parlament haben ein Gutes: Sie haben Scharon gezwungen, klar darzulegen, weshalb sich Israel aus Gasa zurückziehen will. Es geht darum, ein Maximum an Land mit einem Minimum an Bevölkerung zu halten. Bildlich gesprochen: Die Gefangenenwärter sollen aus dem Innern des Gefängnisses abgezogen und dann aussen herum hinter Stacheldraht wieder aufgestellt werden.

Was halten Sie von der Schweizer Aussenpolitik?
Ich halte sehr viel von den Initiativen, die von der Schweiz ausgingen, um im israelisch-palästinensischen Konflikt eine Lösung zu finden. Das war mutig. Heute müsste sie einen zweiten Schritt tun. Als Depositärstaat der Genfer Konventionen müsste sie eine internationale Konferenz zur Frage der Verletzung dieser Konventionen organisieren. Es braucht internationalen Druck, vielleicht sogar eine internationale Intervention, um die palästinensische Bevölkerung zu schützen. Sie hat ein Recht darauf, ein normales Leben zu führen. Einschliesslich das Recht, allgemeine Wahlen durchzuführen, um das aktuelle politische Chaos zu beenden.

Alain Bittar, 51, Buchhändler und Verleger. Zusammen mit seiner Frau führt er die arabische Buchhandlung L’Olivier in Genf. Zwischen 1981 und 1989 war er Herausgeber der arabischen Ausgabe 
von «Le Monde diplomatique».