Durch den Monat mit Güzin Kar (Teil 3): Vulgär über Sex reden

Mit Ihren ersten beiden Filmen «Lieber Brad» und «Mehr als nur Sex» waren Sie enorm erfolgreich, und in Locarno gewannen Sie diesen Sommer für «Ihr Kinderlein kommet» den bedeutendsten Schweizer Drehbuchpreis. Wie erklären Sie sich das?
Ich hatte Glück und mit meinem ersten Drehbuch «Lieber Brad» sofort Erfolg. Dann kamen weitere Angebote, von denen ich aber nur die annahm, die mir wirklich zusagten. Ich glaube, das ist wichtig: Den Mut haben, Nein zu sagen auf die Gefahr hin, mit leeren Händen dazustehen. Mittlerweile bin ich bei den Produzenten bekannt für meine Dialoge.

Was ist das Besondere an ihnen?
Ich habe eine Technik gefunden, wie witzige Dialoge ohne Längen auch im Deutschen funktionieren, so, dass sie trotzdem eine Seele haben, Gefühle transportieren. Es heisst, das sei eine Eigenart der englischen Sprache, aber mir gelingt es auch im Deutschen.

Aber da gehört doch mehr dazu als Technik?
Ja, natürlich kommt alles erst einmal intuitiv. Aber nachher feile ich an den Dialogen herum wie eine Handwerkerin und bin oft noch nicht einmal ganz zufrieden, wenn ich die Texte abgebe.

Wieso schreiben Sie Komödien?
Als ich auf die Filmakademie ging, wollte ich eigentlich grosse Sozialdramen schreiben. Ganz ernste Filme wollte ich machen, in denen es um gesellschaftspolitisches Zeugs gehen sollte – in meinem jugendlichen Grössenwahn glaubte ich tatsächlich, die Welt warte auf meine Interpretation der Dinge. Dann kam Ulrich Limmer, ein grosser Komödienschreiber im deutschen Film, an die Schule und sagte mir: «Schreib deine Geschichte doch mal als Komödie.» Ich hätte ihn schlagen können! Erstens fand ich die meisten deutschen Komödien schlecht, und zweitens hatte ich damals gerade ein totales Drama geschrieben.

Aber er hat offensichtlich den Punkt getroffen.
Nach einigem Streiten habe ich gemerkt, was er meint: Ich sollte einfach meinen Tonfall, wie ich ihn im Alltag habe, zu Papier bringen. Warum die Dinge nicht auch im Film so darstellen, wie ich sie sehe, als einzige Tragikomödie? Und Ulrich Limmer hatte Recht, meine Geschichten funktionierten. Da wusste ich, das ist es, das ist meines!

Frauen und Mädchen haben in Ihren Filmen immer wichtige Rollen ...
Ja, weil sie mir nah sind. Und häufig sagen mir Leute, «schau, dass du starke Frauen zeigst». Aber ich verstehe nicht, was das heissen soll.

Wird Ihnen vorgeworfen, Ihre Frauenfiguren seien nicht stark?
Teilweise. Bei «Lieber Brad» zum Beispiel waren alle begeistert von den drei Hauptfrauenfiguren. Aber man hielt mir vor, dass jede der drei einmal einen Heulanfall hat – einige hatten Probleme damit.

Und warum haben Sie die Figuren so charakterisiert?
Weil ich selber auch so bin. Ich bin nicht immer stark und muss manchmal aus Verzweiflung oder Wut heulen. Warum soll ich darüber nicht sprechen dürfen? Ich habe keine Lust, irgendwelche Idealvorstellungen von Frauen und Mädchen in mein Drehbuch zu schreiben, nur damit alle zufrieden sind. Lustigerweise gibt es aber auch ganz andere Reaktionen auf meine Frauenfiguren: Die Leute finden, ich würde sie übertrieben zeigen, beispielsweise wenn sie über Sex reden.

Wie reden diese Figuren über Sex?
Offen, häufig vulgär. Die Mutter in «Mehr als nur Sex» wirft ihrer Tochter beispielsweise vor, sie habe ihren Büstenhalter in ihren jungen Jahren doch nicht auf der Strasse verbrannt, damit die Tochter jetzt ein bieder-bürgerliches Frauenleben führe. Und die Tochter antwortet darauf: «Den hättest du mal besser anbehalten, dann würden deine Brüste jetzt nicht so hängen.» Der Satz wurde nach heftigen Diskussionen mit der Regisseurin und dem Produzenten gestrichen. So was sage man einfach nicht, hiess es.

Was steckt hinter diesem Vorwurf?
Ich weiss es nicht genau. Vielleicht hat es damit zu tun, dass Sexualität uns alle persönlich betrifft und man sich davon nicht distanzieren kann. Vielleicht reagieren die Leute auch stärker, weil ich eine Frau bin, die das schreibt, und es Frauen sind, die das sagen.

Wie wichtig ist Ihnen, welches Frauenbild Sie mit Ihren Filmen transportieren?
Für mich ist die Frage nie, sind die Frauen – oder die Männer – stark oder schwach. Mir ist wichtig, welche Emotionen bei den Zuschauern ankommen. Und mich interessieren die Brüche in den Figuren: Wo sind die Stärken, wo die Schwächen, und was steckt dahinter? Darum geht es im Film. Und auch im Leben – dass man seine eigenen Vorgaben irgendwann hinterfragen muss.

GÜZIN KAR, Alter «irgendwo in den 
Dreissigern», ist Drehbuchautorin und Regisseurin.