Durch den Monat mit Güzin Kar (Teil 5): Ich sah zu harmlos aus

Sie haben letzten Sonntag das erste Mal abgestimmt, wie wars?
Ich bin ja gerade umgezogen und habe in dem ganzen Durcheinander meine Abstimmungsunterlagen nicht mehr gefunden. Als ich sie endlich hatte, bin ich am Sonntag zum Bahnhof gerannt und habe abgestimmt. Aber ich fühlte mich nachher gleich wie vorher.

Das Abstimmungsresultat der beiden Einbürgerungsinitiativen ist ernüchternd ...
Ich habe nichts anderes erwartet. Diese ganze Kampagne der SVP im Vorfeld und die Linke, die sich mal wieder in Schweigen gehüllt hat, forderte dieses Resultat heraus.

Ärgern Sie sich gar nicht?
Ich bin mit dem Thema Ausländerfeindlichkeit konfrontiert, seit ich denken kann, das ärgert mich nicht mehr. Ich habe schon so viele Diskussionen geführt, auch in meinem nahen Bekanntenkreis, wo sich plötzlich so genannt linke Leute mit den abstrusesten Vorstellungen über Ausländer outeten.

Womit denn?
Ein Bekannter von mir beklagte sich einmal, dass in der Klasse seines Sohnes nur die Kosovo-Albaner Liebesbriefe bekämen, sein Sohn aber nie. Er meinte, dass sei doch unglaublich, dass dieses Mackertum bei den Mädchen dermassen ankäme.

Was sagen Sie auf so was?
Ich tat natürlich ganz verständnisvoll und tröstete ihn damit, dass sich das später ändern wird. – Was ich ihm allerdings nicht sagte, war, dass die Frauen über dreissig wieder auf Macker stehen. Ist es nicht so?

Klar. – Sie gehen so spielerisch mit dem Ausländerthema um, wie schaffen Sie das?
Ich finde, das Thema wird zum Problem gemacht, obwohl es keines ist. Wenn ich mich ernsthaft damit beschäftigen würde, würde ich auf der gleichen Ebene diskutieren, und das will ich nicht.

Auch in Ihren Filmen ist das nie explizit ein Thema ...
Hinter den Kulissen aber schon. Bei «Paul und Lila» entschied ich mich beim Casting für einen schwarzen Jungen. Nicht weil er schwarz ist, sondern weil er einfach der Beste war. Das gab richtige Diskussionen – ob das Sinn mache, dass diese Figur von einem Schwarzen gespielt wird und so weiter. Ich habe aber darauf bestanden. Das Thema Ausländer kommt in meinen Filmen beiläufig vor. Es gehört einfach dazu, wie das im Leben auch ist. Die Ausländer sind hier, darüber muss man keine grosse Geschichte machen.

Verstehen Sie sich als politischen Menschen?
Nein. Ich verfolge Politik nur sehr selektiv, wenn mich ein Thema interessiert, dann ja. Aber ich lese nicht fünf Tageszeitungen und informiere mich permanent über alles – gibt es überhaupt fünf Tageszeitungen?

Politisch sein, heisst für Sie also, sich zu informieren und Zeitung zu lesen?
Und aktiv zu sein. Ich war ja früher sehr aktiv und bei jeder linken Demonstration in Zürich dabei. Ich hatte zu allem eine Meinung, war gegen alles mögliche und habe in besetzten Häusern gewohnt.

Wurden Sie denn mal festgenommen?
Nein, eben nicht! Das war total frustrierend, weil ich das Gefühl hatte, dass ich in der Gruppe politisch nicht ernst genommen würde, wenn ich nach einer Demo nie in eine Zelle musste. Aber ich sah einfach zu harmlos aus, mit meinen Stöckelschuhen und der Schminke.

Sie gingen mit Stöckelschuhen und geschminkt an die linken Hausbesetzerdemos?
Seit ich dreizehn bin, trage ich Schuhe mit Absätzen und schminke mich. Nur weil ich an Demos ging und in besetzten Häusern wohnte, änderte ich das nicht. Einmal war ich nach der Auflösung einer Demo die Einzige, die stehen blieb, in der Hoffnung, die Polizei würde mich endlich einpacken. Stattdessen kam ein Uniformierter und sagte freundlich: «Passen Sie auf, Fräulein, hier ist es gefährlich.»

Haben Sie nie probiert, das Outfit zu ändern?
Doch. Ich kaufte mir im Brockenhaus eine schwarze Jacke, die am Ellbogen zerschlissen war. Aber an der Demo kamen dauernd Leute zu mir und sagten: «Du, Güzin, deine Jacke ist da kaputt.» Von da an liess ich es bleiben. In den besetzten Häusern kam es sogar so weit, dass in einer Sitzung ein Punk zu mir kam und sagte, mein Lippenstift sei verschmiert. Aber wenigstens wurde ich so akzeptiert, wie ich bin.

Ah ja, und über die Mutterschaftsversicherung stimmten die Schweizer und damit auch Sie am Sonntag noch ab ...
Super, über dieses Resultat freue ich mich.

Wollen Sie selber Kinder?
Ja, etwa siebzehn.

Seit unserem ersten Interviewtermin weiss ich, dass Sie lügen.
Stimmt.

GÜZIN KAR, Alter «irgendwo in den 
Dreissigern», ist Drehbuchautorin und Regisseurin.