Durch den Monat mit Güzin Kar (Teil 4): Ich leide wie wahnsinnig!

Nächsten Sonntag stimmen die 
Zürcherinnen und Zürcher über die kantonale Filmförderung ab, und Bundesrat Pascal Couchepin provozierte vor kurzem eine Diskussion über die eidgenössische Filmförderung ...
Grundsätzlich finde ich es sehr gut, wenn man darüber nachdenkt, wie die Filmförderung in der Schweiz aussehen sollte und wie nicht. Aber ich stelle fest, dass unglaublich viele Fehlinformationen verbreitet werden. Und das nervt mich.

Woran denken Sie?
Zum Beispiel geisterte da von verschiedenen Seiten der Vorschlag durch die Medien, der Film in der Schweiz solle ganz ohne staatliche Förderung auskommen – das ist hanebüchen. Das ist nur in den USA und in Indien möglich, weil dort die Filmstudios Weltkonzerne sind und in den USA eine Filmtradition von bald hundert Jahren besteht. In keinem europäischen Land ist der Markt so gross, dass der Film ohne Subventionen auskommen könnte. Aber hinter der Idee, den Filmleuten kein Geld mehr zu geben, steckt die Vorstellung vom Künstler, der nur im Leiden kreativ ist.

Leiden Sie etwa nicht beim Schreiben?
Ich leide unendlich. Aber das ist ja ein alter Hut, dass die Schreiber leiden. Jeder Satz, den ich schreibe, ist eine Entscheidung, die Konsequenzen hat. Und ich verbaue mir mit dieser Entscheidung alle anderen Möglichkeiten – das ist fast nicht auszuhalten. Deswegen kann ich auch nur unter Zeitdruck etwas fertig stellen.

Also stimmt es, dass die Kreativen leiden?
Wahrscheinlich, aber sie müssen nicht finanziell leiden, um kreativ zu sein. Wenn es so wäre, dann soll Bundesrat Couchepin auf seinen Lohn verzichten, dann wäre er auch kreativer. Im Ernst: Das Problem ist, dass der Schweizer Film mit so wenig finanzieller Unterstützung nie aus seinem Halbamateurstatus herauskommt. Um dem Schweizer Film eine Chance zu geben, wäre es aber dringend nötig, dass die Branche professionalisiert wird. Und dafür braucht es wie in jeder Branche Geld.

Wieso wollen Sie denn, dass es den «Schweizer Film» gibt?
Es gibt Geschichten, die einfach am besten in der Schweiz situiert sind. Aber eigentlich will ich, dass es mehr grosse Schweizer Filme gibt, die in Japan genauso gut laufen wie in Italien. Ich möchte damit sagen, dass ich mir Filme wünsche, die etwas so Grundmenschliches berühren, dass alle sie verstehen. Ich selber suche in meinen Filmen immer nach diesem Universellen.

Wovon leben Sie denn?
Ich lebe seit vier Jahren ausschliesslich von meinen Drehbüchern. Grob gesagt, zahlt die Kosten fürs Drehbuch entweder der TV-Sender oder die Produktionsfirma, wobei ein Teil unabhängig von der Filmförderung im Voraus bezahlt wird, und der Teil, der aus Fördergeldern besteht, bei Drehbeginn.

Und wovon leben Sie gerade jetzt?
Ich habe einen Exklusivvertrag mit dem deutschen Filmkonzern Bavaria. Das heisst, ich schreibe für ihn ein Drehbuch, bin dafür bezahlt und darf in der Zeit parallel kein anderes schreiben!

Oh! Wie viel zahlen die denn für so einen Exklusivvertrag?
Das kommt natürlich auf den Marktwert des Drehbuchautors an. Eine Firma, die einen Exklusivvertrag haben möchte, muss auch dementsprechend zahlen, das ist klar.

Und wie hoch ist Ihr Marktwert?
Liest die Steuerbehörde die WOZ? Also – ich leide selbstverständlich wie wahnsinnig!

Gut, lassen wir das. Was schreiben Sie denn exklusiv?
Ich schreibe das Drehbuch für die Verfilmung des Kinderbuchs «Die wilden Hühner» von Cornelia Funke.

Ist das Schreiben nach einer Vorlage schwieriger?
Es ist das erste Mal, dass ich so arbeite, und es ist schon etwas anderes. Ich schreibe nicht wie sonst meine ganz eigene Geschichte, erfinde nicht meine eigenen Figuren. Und in diesem speziellen Fall ist der Druck, dass das Drehbuch gut wird, sehr hoch, weil Cornelia Funkes Bücher einen Riesenerfolg haben. Sie hat gerade die Filmrechte an ihrem Buch «Tintenherz» nach Hollywood verkauft. Ich kann mir also keinen Misserfolg leisten.

Geht so Ihre Freiheit als Drehbuchautorin verloren?
Nein. Ich muss mich auch von der Vorlage lösen. Vieles, was im Buch funktioniert, funktioniert im Film nicht. Ich muss Szenen und zum Teil Figuren neu dazuerfinden, damit überhaupt eine filmische Struktur entsteht. Aber ich darf natürlich den Tonfall der Originalbücher nicht verändern. Das ist die grosse Herausforderung.

GÜZIN KAR, Alter «irgendwo in den 
Dreissigern», ist Drehbuchautorin und Regisseurin.