Durch den Monat mit Therese Frösch (Teil 1): Regieren ohne Dreamteam

WOZ: Am letzten Novemberwochenende wählt die Stadt Bern eine neue Exekutive. In den letzten zwölf Jahren haben Sie die Stadt mitregiert. Jetzt treten Sie zurück. Warum?
Ich habe viel Herzblut investiert, und wenn es mir einigermassen gelungen ist, die Leistungen des Service public nicht nur zu erhalten, sondern teilweise auch auszubauen, war es eine gute Arbeit. Aber man wird dabei nicht jünger und auch nicht unbedingt gescheiter, sondern eher einseitiger – nicht, dass man ausschliesslich ans Sparen denken würde. Aber man rutscht psychisch, physisch und geistig mit den Jahren immer mehr in den Pragmatismus hinein.

Wenn Regieren einseitig ist: Was wäre denn die andere Seite?
An den eigenen politischen und vielleicht auch philosophischen Ansprüchen gemessen wachsen die Mankos. Ich habe Lust, nach meiner Regierungszeit wieder vermehrt in die Tiefe zu steigen, auch bei der Literatur. Daneben gibt es Bedürfnisse wie ein bisschen mehr schlafen, ein bisschen mehr Sport, ein bisschen mehr herumhängen, Kuchen backen, Leute einladen oder Blumen einstellen – meine häuslichen Seiten halt.

Ihr Rücktritt hat also nichts zu tun mit der Regierungskrise, die mit der Absetzung des Polizeidirektors Kurt Wasserfallen begann und im Rahmen einer Departementsrochade zu Ihrem Wechsel von der Finanzdirektion in die Direktion für Soziale Sicherheit führte?
Nein. Denn schon nach meiner ersten Wahl stand auf einer Gratulationskarte: «Was kann denn schon eine Wasserfalle einem Frosch antun?» Trotzdem stimmt es, dass ich in den letzten vier Jahren ab und zu an die Grenzen meines Frustrationspotenzials gekommen bin.

Also doch Wasserfallen?
Es ist einfach frustrierend, in einer Stadtregierung zu sitzen, deren Niveau einem eigentlich nicht passt, weil man andere Vorstellungen davon hat, wie man Probleme löst. Und es macht zweifellos keinen Spass, in einem Gremium zu sitzen, in dem teilweise aus der untersten Schublade politisiert wird, anstatt mit Persönlichkeiten konstruktiv zusammenzuarbeiten, deren Humor einem gefällt. So gesehen, war für mich die erste Legislatur von 1992 bis 1995 mit Therese Giger, Ursula Begert und vor allem Joy Matter die beste. Kommt dazu, dass in den letzten vier Jahren die rot-grüne Koalition nur suboptimal gespielt hat.

Zu dieser Koalition gehören neben Ihnen der Stadtpräsident Klaus Baumgartner, Edith Olibet und Alexander Tschäppät.
Diese SP-Dreiervertretung war leider kein Dreamteam. Zusammen mit mir hätten sie eigentlich die Mehrheit in der Regierung gehabt. Einige der Flops, die passiert sind, hätten nicht passieren müssen.

Sie machen uns neugierig.
Bis vor vier Jahren gab es in Bern nicht nur eine Rot-Grün-Mitte-Regierung, sondern auch regelmässige Koalitionssitzungen der vier RGM-Regierungsmitglieder im Büro des Stadtpräsidenten. Bei der Departementsverteilung für die jetzt zu Ende gehende Legislatur wollten mich meine SP-Gschpänli zwangsweise von der Finanz- in die Schuldirektion versetzen, obwohl ich das beste Wahlresultat aller Bisherigen hatte. Ich habe mich durchgesetzt. Seither hat es keine Koalitionssitzung mehr gegeben.

Abgesehen von solchen Unsäglichkeiten: Was kann denn eigentlich eine links-grüne Mehrheit heute politisch überhaupt erreichen?
Seit vier Jahren hat Bern schwarze Zahlen ...

... dank Ihnen ...
... nicht nur dank mir, aber ich war in den zehn entscheidenden Jahren Finanzdirektorin. Tatsache ist, dass diese schwarzen Zahlen ein bisschen Ellbogenfreiheit geben. Wenn eine linksgrüne Koalition geschickt politisiert, kann sie in Fragen, an denen ihr gelegen ist, eindeutig Akzente setzen, quantitativ und qualitativ.

Beispiele?
Bei den Tagesschulen und Krippenplätzen gab es grosse Fortschritte. In der städtischen Personalpolitik haben wir in den mageren neunziger Jahren Dummheiten vermieden, wie Löhne zu kürzen oder Mitarbeitende abzuhalftern. Wir haben heute eines der fortschrittlichsten Personalreglemente in der Schweiz. Und im Bereich der städtischen Begegnungsorte muss ich mit Verlaub festhalten: Ohne mich und meine Mitarbeitenden in der Finanzdirektion gäbe es weder die renovierten Siedlungen Q-Hof und Murifeld noch ein neues «Kornhaus», ein neues «Tramdepot» und vermutlich auch kein neues Restaurant Schwellenmätteli.

Therese Frösch, 53, ist Sozialdirektorin (Grünes Bündnis) der Stadtberner Exekutive, nachdem sie zwischen Januar 1993 und Mai 2003 die Finanzdirektion geführt hat. Seit diesem Jahr ist sie Nationalrätin*. Sie ist ausgebildete Sozialarbeiterin und arbeitete bis 1993 als geschäftsleitende Sekretärin der Gewerkschaft VPOD Bern-Kanton.

*Nachtrag: Therese Frösch war Nationalrätin vom 1. Dezenber 2003 bis 4. Dezember 2011