Durch den Monat mit Therese Frösch (Teil 4): Ab in den Wilden Westen
WOZ: Dieser Papierstoss hier auf Ihrem Bürotisch sieht aber nicht nach Stadtberner Politik aus.
Nein. In zwei Stunden findet im Bundeshaus drüben eine Konsultativsitzung mit Bundesrat Hans-Rudolf Merz statt. Ich nehme dort als Mitglied der nationalrätlichen Finanzkommission teil.
Geht es ums Sparen?
Es geht um das Entlastungsprogramm 04, das zurzeit in der Vernehmlassung ist.
Nächste Woche findet Ihre erste nationale Budgetdebatte statt. Wie liefen denn die Vorberatungen in der Kommission?
Mein Eindruck ist, dass zurzeit über Finanzpolitik in extremem Mass Inhalte abgewürgt werden. Es geht nicht um Sinn und Unsinn des Sparens im konkreten Fall, sondern um Schuldenbremsekonformität, um die Entlastungsprogramme 03 und 04 oder um die aufgabenbezogene Überprüfung der gesamten Bundesverwaltung mit einer linearen Sparvorgabe.
Prognostiziert wird für 2005 ein Defizit von 1,8 Milliarden Franken. Wo spart die Kommission?
Kommissionskollegen und -kolleginnen der SP, die schon länger dabei sind, sagen mir, das Klima habe sich verschärft, seit die FDP immer stärker auf SVP-Schmusekurs politisiert. Es ist wie in einem Spaghetti-Western: Geschossen wird am liebsten aus der Hüfte.
Auf was denn?
(Sie blättert in den Unterlagen.) Zum Beispiel sollen in der Entwicklungshilfe fünf Millionen gespart werden, beim Film vier Millionen, bei den Krankenkassenprämien drei Millionen, bei den Präventionsmassnahmen sechs Millionen, bei der familienergänzenden Kinderbetreuung fünf Millionen, bei der Sozialhilfe für Flüchtlinge acht Millionen. Und so weiter.
Also Kahlschlag auf der ganzen
Linie?
Nein, der Nationalstrassenbau zum Beispiel soll elf Millionen mehr kriegen. Aber natürlich geht es darum, dem Staat überall dort die Handlungsfreiheit zu nehmen, wo es um die Besserstellung der Schwächeren geht.
Andererseits sind allzu hohe Defizite ja auch nicht lustig.
Das stimmt. Um glaubwürdig zu bleiben, müssen wir als Linke aufzeigen, wie man Defizite beheben kann – auch auf nationaler Ebene. Ich bestreite deshalb nicht, dass gespart werden muss. Die Frage ist wo? Ich sage: Es darf nicht den Service public treffen, nicht den Regionalverkehr, nicht die familienexterne Unterstützung, nicht die Kultur. Sparen kann und soll man zum Beispiel bei der Armee und beim Strassenbau.
Unter Ihrer Leitung hat die Stadt Bern das Budget auf relativ sozialverträgliche Art ins Gleichgewicht gebracht. Wäre das nicht auch national möglich?
Auf jeden Fall. Bloss sind die Kräfteverhältnisse auf nationaler Ebene brutal klar zu unseren Ungunsten. In vielen Fragen werden wir unsere Allianzen vor allem ausserparlamentarisch, mit Gewerkschaften, NGOs und Bewegungen schmieden müssen, wenn wir Druck erzeugen wollen. Ein weiter Weg, um in der nationalen Politik etwas zu ändern. Aber es gibt nichts anderes.
Sie scheinen eine motivierte Nationalrätin zu sein.
Zu sehen, wie eine Nation funktioniert, ist doch interessant, oder?
Und was tun Sie nächstes Jahr sonst?
Ich nehme nichts Neues an. Ich will ein zuverlässiges und dossiersicheres Mitglied der Grünen Fraktion werden. Ich will die französische Sprache auffrischen, ich will meine geschichtlichen Kenntnisse vertiefen, und ich will das Querschnittsthema Finanzpolitik besser in den Griff bekommen, das heisst: Ich will die wichtigsten politischen Felder besser kennen lernen, in denen der Staat Geld verteilt.
Am Silvester haben Sie Ihren letzten Arbeitstag in der Stadtberner Regierung. Wo sind Sie an jenem Abend?
Das lasse ich im Moment bewusst offen.
Aber ein spezieller Moment mit einem lachenden und einem weinenden Auge wird es schon werden?
Sicher nicht! Ich habe schon vor vier Jahren überlegt, ob ich zurücktreten soll. Nach der Regierungskrise, der Zusatzarbeit wegen des anschliessenden Direktionswechsels, und nach der Fusion der Departemente von sieben auf fünf ist es jetzt genug. Der Jahreswechsel wird für mich eine grosse Befreiung sein.
Und dann kommt das Januarloch?
Vielleicht, aber ich bin eine Meisterin im Leiden. Abgesehen davon habe ich in den letzten zwölf Jahren auf dem Weg ins Büro nicht selten überlegt: Wie lange sitze ich wohl noch vis-à-vis von Kurt Wasserfallen? Ich habe meine Neugierde nicht verloren. Sie ist die Spannfeder im Leben.
Therese Frösch, 53, ist noch bis Ende Jahr [2004] Sozialdirektorin der Stadt Bern. Seit diesem Jahr ist sie auch Nationalrätin und vertritt die Grüne Partei in der nationalrätlichen Finanzkommission.*
*Nachtrag: Therese Frösch war Nationalrätin vom 1. Dezenber 2003 bis 4. Dezember 2011