Hardturmstadion: Umwelt als Kapital

Der missglückte Planungsprozess um das neue Fussballstadion zeigt, dass in der Zürcher Stadtentwicklungspolitik einiges schief läuft. Ein Gespräch mit dem Stadtforscher Christian Schmid.

WOZ: In den letzten Wochen hat das geplante Fussballstadion im Hardturm für heftige Diskussionen gesorgt. Im Moment ist völlig offen, wie es weitergehen wird.
Christian Schmid: Das Stadionprojekt ist ein Paradebeispiel dafür, was falsch läuft in der Zürcher Stadtentwicklungspolitik. Und dies auf allen Ebenen: Erstens hat die Stadt keine klare und überzeugende Vorstellung entwickelt, wie sich das Quartier Zürich West entwickeln soll. Zweitens hat sie gravierende planerische und politische Fehler gemacht. Und schliesslich hat sie es versäumt, die QuartierbewohnerInnen rechtzeitig einzubeziehen.

Wie hätte denn eine Erfolg versprechende Planung verlaufen können?
Zuerst hätte man erkennen sollen, welches Potenzial in diesem Quartier steckt und wie viele spannende Projekte hier bereits vorhanden waren. Danach hätte man eine breit abgestützte Strategie entwickeln sollen, die dieses Potenzial stärkt. Stattdessen hat man vor allem auf prestigeträchtige Grossprojekte und internationale Investoren gesetzt. Dabei hat man auch die Verkehrsplanung sträflich vernachlässigt. Seit fast zwanzig Jahren plant man an diesem Stadtviertel, das bereits von enormem Durchgangsverkehr belastet ist. Tausende von Arbeitsplätzen und zahlreiche publikumsintensive Nutzungen hat man hier geschaffen, weitere sollen noch entstehen, und die generieren selbstverständlich zusätzlichen Verkehr. Trotzdem gibt es bis heute noch kein neues Verkehrskonzept.

Mit dem Stadionprojekt hat sich diese Situation zusätzlich verschärft.
Das Stadion an sich ist nicht das Problem, sondern das zusätzliche Einkaufszentrum, das ja nur deshalb gebaut werden soll, damit private Investoren das Projekt finanzieren. Die Stadt hätte das Stadion selbst finanzieren können, und sie hätte zum Beispiel einen Ideenwettbewerb für quartiergemässe Mantelnutzungen durchführen können. Auch hat sie es versäumt, alternative Standorte ausserhalb der Stadtgrenzen ernsthaft zu prüfen – das Stadion musste unbedingt in der Stadt Zürich bleiben.

Müsste man Raumplanung und Umweltschutz auf gesetzlicher Ebene nicht viel enger miteinander verbinden, wie das VCS-Anwalt Martin Pestalozzi («Der Anwalt der Lüfte») vorschlägt?
Das ist ein guter Vorschlag. Aber schon innerhalb des gegebenen gesetzlichen Rahmens könnte man eigentlich vernünftig planen. Das Ganze ist eine Frage der politischen Kultur, und diese ist im Grossraum Zürich unter dem neoliberalen Regime weitgehend abhanden gekommen. Man setzt auf kapitalintensive Grossprojekte und schielt auf internationales Renommee. Die so genannte Public-Private-Partnership scheint in dieser Optik unumgänglich und wird gar nicht mehr hinterfragt. Man hat vergessen, dass in diesem Land nur gute Kompromisse zum Ziel führen, und das bedeutet, dass man alle betroffenen Parteien frühzeitig in den Planungsprozess einbeziehen muss. Stadtentwicklung von oben führt fast zwangsläufig zum Debakel. Das zeigt auch die unglaublich fahrlässige Planung des Flughafens.

In der Öffentlichkeit stehen VCS und Anwohnerschaft als Sündenböcke da. Ungeniert spricht man davon, das Verbandsbeschwerderecht einzuschränken.
Dieses Recht wurde geschaffen, um den gesetzlichen Auflagen Nachdruck zu verschaffen. Schränkt man es ein, heisst das, dass die politischen Körperschaften, die diese Gesetze erlassen haben, sich nicht an diese Gesetze halten wollen. Man könnte auch die Gesetze ändern, doch das ist politisch brisant. Lieber will man die Aufsicht lockern, damit mehr Spielraum entsteht, um sie zu umgehen.

Wie könnte eine Stadtpolitik aussehen, die das Schlagwort Lebensqualität und damit den Umweltschutz ernst nimmt?
Eigentlich müsste das oberste Ziel einer Stadtentwicklungspolitik darin liegen, dass es den BewohnerInnen gut geht. In Bezug auf Lebensqualität ist Zürich heute noch weltweit führend, das behaupten zumindest die einschlägigen Städteratings. Zur Lebensqualität gehören Faktoren wie Kultur und ein gutes Bildungs- und Gesundheitssystem, aber auch die Umwelt. Mit der neoliberalen Politik, die teilweise in der Stadt Zürich und vor allem auf kantonaler Ebene betrieben wird, ruiniert man genau das, was die Qualität von Zürich ausmacht.
Weder Unternehmen noch Private wandern in Scharen aus der Stadt Zürich ab, obwohl sie im kantonalen Vergleich den höchsten Steuerfuss aufweist. Offenbar sind viele Leute und auch Unternehmen bereit, vergleichsweise hohe Steuern zu bezahlen, wenn sie dafür einen Gegenwert erhalten. Ein neues, auf die Bedürfnisse des Quartiers abgestimmtes Fussballstadion wäre so gesehen eine sinnvolle Investition der öffentlichen Hand und könnte durchaus zur Lebensqualität in Zürich beitragen.

Welche Lehren kann man aus dem Stadiondebakel ziehen?
Vor allem braucht es eine öffentliche Debatte über die Stadtentwicklung. Was ist eine lebenswerte Stadt? Wie könnte eine sinnvolle Stadtentwicklungspolitik aussehen? Wenn der Streit um das Stadion zu einer solchen Debatte führt, hätte das Ganze doch noch einen Sinn. Wenn aber nur der Eindruck bleiben würde, hier hätten ein paar notorische Querulanten ein tolles Projekt sabotiert, wäre das fatal. Nur durch eine intensiv geführte öffentliche Debatte können die politischen Instanzen dazu gebracht werden, ihre Hausaufgaben zu erledigen, ihre Planungen transparent zu machen und rechtzeitig zur Diskussion zu stellen.