Hinter der schwarzen Tür

Samstag, 4. Juli: Bevor die Stimmen ausgezählt werden, zu Gast bei den Vergessenen: In seinem Verschlag bittet ein Flüchtlingspaar zum Tee. Und Experten beurteilen, ob sich die Situation der Flüchtlinge unter der Syriza-Regierung geändert hat.

Kein Wasser und kein Strom: In diesem Raum wohnt das afghanische Flüchtlingspaar Alihosaini. Foto: Kusha Bahrami.

Die schwere, schwarze Eisentür öffnet sich nur langsam. Dahinter liegt ein stockfinsteres Treppenhaus, es riecht streng. Oben im zweiten Stock öffnet sich nach mehrmaligem Klopfen die Tür. Das Ehepaar Alihosaini erklärt sich bereit, Auskunft zu geben. Es bittet in seine Wohnung, die aus nur einem Raum besteht: zwei Betten, ein Regal. In der Ecke am Boden ein Gaskocher. Und viele leere Wasserflaschen. Die Frau stellt ein Tablett mit Chai-Tee und Datteln auf den Teppich. An einem der wohl tristesten Orte von Athen breitet sich so etwas wie Gemütlichkeit aus.

Vor vierzehn Monaten ist die Familie in Kandahar im Süden Afghanistans aufgebrochen. Mit dabei waren ihre drei minderjährigen Kinder. Als sie von Istanbul nach Europa übersetzten, waren die Eltern und die Jugendlichen auf zwei Schiffe verteilt. Das Boot der Eltern wurde von der türkischen Küstenwache zurückgedrängt, die Jugendlichen schafften die Überfahrt auf die Insel Samos. «Sie haben uns in Istanbul nicht mehr erreicht», erzählt die Mutter. «Als wir es doch nach Athen schafften, haben wir sie nicht mehr gefunden.» Die Jugendlichen waren nach Deutschland weiter gereist, unterstützt mit Geld der afghanischen Community. Immerhin ist der Kontakt wieder hergestellt. «Einmal im Monat telefonieren wir.»

Yonous behielt recht

Die Odysee der Familie ist typisch für viele Flüchtlinge, die auf dem Weg nach Europa sind. Einigen dient Griechenland als Transitland, dass sie in wenigen Tagen passieren. Für andere wird es zur jahrelangen Falle, aus der sie nicht mehr herausfinden. Dann nehmen sie leerstehende Häuser wie dieses in Beschlag. Rund dreissig Menschen leben hier, mitten im Zentrum von Athen. Sie kommen aus Afghanistan, aus der Ukraine, aus verschiedenen afrikanischen Staaten. Dass es kein fliessendes Wasser und keinen Strom gibt, ist für das Ehepaar das grösste Problem. Dazu kommen die Kontrollen der Polizei und die Konflikte untereinander. Drogenabhängige – Flüchtlinge, aber auch GriechInnen – gehen ein und aus. Der Konsum reicht von Haschisch bis zu Heroin. Auch Sisa, eine Droge auf Crystal-Meth-Basis, ist verbreitet.

Als ich vor drei Jahren in Athen unterwegs war, um die Situation der Flüchtlinge zu beschreiben, hatte ich Muhammadi Yonous getroffen, den Präsidenten der afghanischen Community. Er sagte damals einen bedenkenswerten Satz: «Europa kann seine Zäune noch so hoch bauen, die Menschen kommen trotzdem, nur ihre Reise wird gefährlicher». Yonous ist immer noch aktiv. Er wartet im Büro des griechischen Flüchtlingsforums, der wichtigsten Selbsthilfeorganisation der Flüchtlinge. «Leider habe ich mit meiner Aussage recht behalten», blickt er auf die letzten drei Jahre zurück. Damals hatte Griechenland die Grenze zur Türkei am Evros-Fluss mit einem Zaun und mit tausenden GrenzwächterInnen, darunter auch solchen im Einsatz von Frontex, abgeriegelt. Seitdem hat sich die Fluchtroute in die Ägais verlagert.

Mit der Machtübernahme von Syriza im Januar sei erstmals ein politischer Stimmungswandel eingetreten, meint Yonous. Die Flüchtlingspolitik steht nicht mehr länger unter Polizeihoheit. Die Zahl der Asylsuchenden, die grundlos in Lagern inhaftiert wurden, ist seitdem deutlich zurückgegangen. Die Anwältin und Gewerkschafterin Tasia Christodoulopoulou wurde zur Vizeministerin für Migration ernannt. Zwar verfüge sie über wenig Personal, weshalb Asylgesuche derzeit nur über Skype gestellt werden könnten. «Doch die Menschenrechtsorganisationen haben jetzt immerhin die Möglichkeit, an die Tür der Politik zu klopfen und gehört zu werden», sagt Yonous.

Es mache eben einen Unterschied für die Stimmung in der Bevölkerung, ob eine Regierung die Herausforderung der Flüchtlinge aktiv angehe oder nicht, führt er aus. So hätten sich auf eine entsprechende Anfrage der Regierung BürgermeisterInnen zahlreicher Gemeinden bereit erklärt, Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen. Syriza will ausserdem, dass in Griechenland geborene Kinder von MigrantInnen das Bürgerrecht erhalten. Ein entsprechender Vorschlag ist im Parlament hängig. «Der Umgang der BürgerInnen auf der Strasse mit Flüchtlingen und MigrantInnen ist in den letzten Monaten freundlicher geworden», stellt Yonous fest.

«Besseres Klima»

Giorgos Kosmopoulos, Direktor von Amnesty International in Griechenland, spricht in seinem Büro ebenfalls von einer verbesserten Stimmung in der Asylpolitik. Weil die Regierung wegen der Verhandlungen mit der EU über die Staatschulden keine Zeit habe, könne sie sich aber kaum um andere Fragen kümmern. «Zahlreiche Vorschläge zur Lösung der alten Probleme existieren erst auf dem Papier.» Speziell die Rückweisungen von Flüchtlingsbooten durch die griechische Küstenwache, die Amnesty in der Vergangenheit dokumentiert hat, will Kosmopoulos weiter beobachten. Ein eigentliches Asylwesen existiere in Griechenland noch immer nicht. Derweil hat die Zahl der Flüchtlinge in diesem Jahr wieder zugenommen: Rund 60 000 wurden im ersten Halbjahr registriert. Im ganzen letzten Jahr waren es 40 000.

Angesprochen auf die Pläne der EU zur militärischen Schlepperbekämpfung wird Kosmopoulos deutlich: «Wohl ist die Schlepperei ein Problem. Aber sie entsteht allein dadurch, dass der Zugang nach Europa illegalisiert ist. Die Schlepperei bekämpft man am wirksamsten, wenn man für die Flüchtlinge sichere Wege nach Europa schafft.» Einen Verteilschlüssel zwischen den europäischen Staaten begrüsst der Amnesty-Direktor durchaus. «Am vordringlichsten ist jedoch, dass Verwandte im gleichen Staat untergebracht werden.»

Das ist auch der Wunsch, den das Ehepaar Alihosaini am Schluss des Besuchs äussert: dass die Familie möglichst bald zusammenfindet. Sie hat in Deutschland ein entsprechendes Gesuch gestellt.

Alle bereits erschienenen Blogbeiträge finden Sie im Blog «Heisse Tage in Athen»