Keine Zweifel über den weiteren Weg

WoZ: Sie waren als so genannter unabhängiger, keiner Gruppierung angehörender Vertreter des Kosovo in Rambouillet. Wer hat eigentlich über die Zusammensetzung dieser Delegation entschieden?
Blerim Shala: Wir bildeten die erste Verhandlungsgruppe im März 1998, einige Wochen nach Ausbruch der Kämpfe im Kosovo. Alle, die zu dieser Gruppe gehörten, und die UCK-Führer, die in der Zwischenzeit auftauchten, wurden vom US-amerikanischen Vermittler Christopher Hill und danach auch vom EU-Vermittler Wolfgang Petritsch konsultiert. So war es irgendwie klar, dass die drei wichtigen politischen Gruppen LDK, UCK und LBD sowie zwei unabhängige Personen in Rambouillet teilnehmen sollten. Wir waren alle in diesem Verhandlungsprozess schon ein Jahr lang dabei, so dass die Namen einzelner Personen niemanden überraschten.

Haben die in damals in Rambouillet anwesenden Gruppen noch eine gemeinsame Position?
Ich spreche im Namen der albanischen Delegation in Rambouillet.

Sie sprechen für alle Teilnehmer?
Ja, denn wir haben uns in Rambouillet auf alle wichtigen Dinge geeinigt. Ihre Frage zielt auf die Differenzen zwischen den Albanern, aber wir haben eine gemeinsame Strategie. Wir brauchen eine Übergangsperiode, ein internationales Protektorat im Kosovo, dessen Sicherheit von der Nato garantiert wird und dessen Wirtschaft von der EU stabilisiert wird. Wir müssen mit Hilfe der OSZE demokratische Strukturen aufbauen, so wie das in Rambouillet vorgesehen war. Zudem brauchen wir ein Referendum, mit dem wir über die Zukunft des Kosovo entscheiden.

Wer ist heute der politische Führer des Kosovo? Ibrahim Rugova oder Hashim Thaci?
Jetzt ist nicht der geeignete Moment, um eine politische Führungsperson zu bestimmen. Wir sollten die Strukturen, die seit 1990 im Kosovo aufgebaut wurden, so belassen.

Wer kontrolliert diese Strukturen?
Eine richtige Regierung können wir jetzt noch nicht haben, aber wir können Strukturen mit der internationalen Gemeinschaft aufbauen, um die Rückkehr der Flüchtlinge und die Wahlen zu organisieren. Wir müssen die Entscheidung über die neuen Führer bis nach den Wahlen vertagen. Spannungen würden vor der internationalen Gemeinschaft einen schlechten Eindruck machen.

Thaci nennt sich jetzt schon Ministerpräsident. Das sieht doch danach aus, als wollte die UCK die Macht.
Wir werden das Rambouillet-Abkommen als Ausgangspunkt nehmen müssen. Das Abkommen basiert auf drei Schlüsselprinzipien: Die drei Gruppen LDK, UCK und LBD entsenden gleich viele Vertreter in die zu schaffenden Strukturen, Entscheidungen werden im Konsens gefällt, und die UCK stellt die erste Person dieser Struktur oder Regierung. Wir dürfen jetzt keinen Tag mehr mit internen Streitereien verschwenden.

Und die UCK wird ihre Zustimmung auch zur Entwaffnung geben?
Die UCK hat das Rambouillet-Abkommen unterzeichnet, das in diesem Punkt eindeutig ist. Wenn die beiden Grundbedingungen von Rambouillet, der Abzug der serbischen Truppen und die Stationierung der Friedenstruppe im Kosovo, erfüllt sind, wird es einfacher sein, das Kapitel der Transformation der UCK anzugehen.

Die UCK wird hier oft als eine nationalistische Gruppierung gesehen, die letztlich ein Grossalbanien anstrebt.
Unsere Position für den Kosovo ist klar: Wir wollen ein Protektorat, dann ein Referendum und die Unabhängigkeit. Albaner als Volk haben ungefähr dasselbe Schicksal wie die Deutschen, die auf Deutschland, Österreich und die Schweiz verteilt leben. Sie haben dieselben Wurzeln, aber sie erkennen sich mit einer klaren Identität als Österreicher, Schweizer oder Deutsche. Die Kosovo-Albaner werden wie die Österreicher sein und die Albaner in Mazedonien wie die Schweizer. Sie werden den multiethnischen Charakter ihrer Länder anerkennen.

Sie sprechen von einem Referendum; im Uno-Beschluss zu Kosovo wird kein Referendum erwähnt.
Das stimmt, aber die Resolution des Sicherheitsrates hält fest, dass eine definitive Lösung für den Kosovo auf zwei Dokumenten beruhen soll: der Übereinkunft zwischen Ahtisaari und Tschernomyrdin und dem Paket von Rambouillet. [Dort ist von einem «internationalen Treffen zur Festlegung von Mechanismen für eine definitive Lösung» die Rede. Diese Formulierung wird von der albanischen Seite als Zustimmung zu einem Referendum über die Unabhängigkeit interpretiert, d. Red.] Es ist nicht zu verhindern, dass die BürgerInnen des Kosovo ihren Willen ausdrücken. Wenn als Ergebnis eines Referendums der Wille zur Unabhängigkeit herauskommt, dann muss die internationale Gemeinschaft dies anerkennen.

Soll der Entscheid über die Unabhängigkeit einseitig von der albanischen Bevölkerung im Kosovo abhängen, oder soll es ein Prozess sein, der die Zustimmung beider Seiten braucht?
Natürlich brauchen wir einen gemeinsamen Prozess, das war auch in Rambouillet klar, aber wenn Serbien demokratisch wird, dann erwarte ich, dass Belgrad einem Referendum im Kosovo zustimmt und das Ergebnis akzeptiert. Die Frage, ob die Serben bereit sind, ein Referendum im Kosovo und in Montenegro zu akzeptieren, ist für mich der Gradmesser der Demokratisierung in Serbien.

Jetzt stehen die Nato-Truppen im Kosovo, irgendwann gibt es ein Protektorat, wie lange wird dieser Zustand andauern?
Wir planen bereits mit der internationalen Gemeinschaft Wahlen im Kosovo. Das Rambouillet-Abkommen sah diese innerhalb von neun Monaten vor. Ich bin nicht davon überzeugt, dass dies jetzt so schnell geschehen kann, weil erst die vielen Flüchtlinge heimkehren müssen. Ich nehme an, dass es bis August oder September des nächsten Jahres dauern wird, bis wir wählen werden. Bis dann ist die internationale Gemeinschaft voll verantwortlich für die Situation im Kosovo.

Sie betonen die Einheit in Rambouillet, aber wie werden sich die politischen Verhältnisse in Zukunft entfalten, wenn der Wunsch nach Unabhängigkeit als einigende Klammer wegfällt?
Sofort nach einem Krieg ist es nicht möglich, normale politische Verhältnisse aufzubauen. Ich bin aber sicher, dass die erste Regierung des Kosovo eine multiethnische Mehrparteienregierung sein wird, und ich hoffe, dass es keine politische Macht gibt, welche das politische Leben im Kosovo monopolisieren kann.

Aber werden sich die verschiedenen Parteien auch durch ihre Ideen und Konzepte unterscheiden?
Ich glaube, dass es für neue Ideen noch zu früh ist. Ich erwarte, dass das entscheidende Thema des Wahlkampfs sein wird, wer die Nato in den Kosovo gebracht hat. Die LDK wird sagen, sie sei mit ihrer Politik und ihren Verbindungen zu den europäischen Spitzenpolitikern dafür verantwortlich, die UCK wird sagen, dass es nur ihr Kampf war. Ich glaube nicht, dass es rivalisierende Ideen geben wird, sondern nur rivalisierende Persönlichkeiten.

Wie kann die Regierung multiethnisch sein, wenn jetzt die SerbInnen aus dem Kosovo fliehen?
Das Problem der SerbInnen nicht nur im Kosovo, sondern auch in der Kraina, in Kroatien und in Bosnien ist, dass sie ihr Schicksal an serbische Panzer und Artillerie binden. Wenn diese gehen, denken sie, dass sie auch gehen müssen. Ich denke, dass wir im Kosovo eine ernsthafte Chance haben, diesen Fehler zu korrigieren. Viele Serben verlassen jetzt den Kosovo, aber ich bin sicher, dass die meisten von ihnen sehr bald wieder zurückkommen werden, wenn sie merken, dass die internationale Gemeinschaft, vor allem die Nato, ihre Sicherheit in den grossen Städten garantiert. Es gibt einen Platz für serbische Zivilisten im Kosovo; es wurde sogar in Rambouillet festgehalten, dass sie 25 Prozent der Sitze im Parlament haben sollen, obwohl sie nur 10 Prozent der Bevölkerung stellen. Wir sind immer noch bereit für ein solches Abkommen mit den Serben.

Welche Rolle spielen denn die Albaner und Albanerinnen, die im Ausland, vor allem in den Industrieländern, leben?
Sie waren sehr wichtig als Quelle für finanzielle Unterstützung. Sie haben die parallelen Strukturen im Kosovo finanziert. In den letzten Jahren auch die UCK. In Zukunft geht es nicht mehr einfach darum, Unterstützungsgelder zu geben. Wir müssen unsere Wirtschaft sehr bald privatisieren und über eine ernsthafte Wirtschaftsreform nachdenken. Im Privatisierungsprozess kann das Geld der Auslandsalbaner eine wichtige Rolle spielen, sie können die Besitzer von vielen Dingen im Kosovo werden.

Was möchten Sie privatisieren?
Wir können die Erfahrungen der osteuropäischen Länder nutzen. Kosovo ist viel reicher als Montenegro oder Mazedonien. Ich hoffe, dass die Kraftwerke und Kohlezechen den Krieg überstanden haben. Wir können die Energieversorgung, die Post, eigentlich alles privatisieren.

Und dann werden die privatisierten Unternehmen besser arbeiten?
Natürlich, die Albaner arbeiten hart, wir haben die Minen und so weiter. Es wird soziale Härtefälle geben. Um dies aufzufangen, müssen Pläne ausgearbeitet werden. – Die Wirtschaft der Kommunisten hat Menschen ohne rationalen Grund eingestellt. Wir haben Chancen, dass unsere Wirtschaft sich erholt, aber selbstverständlich in einem regionalen Verbund mit den Nachbarn Mazedonien, Montenegro, Albanien und später sogar Serbien.